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Asiens Gründlichkeit ist der helvetischen überlegen

Andrea
Masüger
15.03.20 - 04:30 Uhr
UNSPLASH

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Ein Wissenschafter, der sich mit sogenannter Evolutionärer Medizin befasst, hat kürzlich in der NZZ einen Aufsatz veröffentlicht. Unsicherheiten würden das Zurückfallen des Menschen in evolutionär etablierte Verhaltensmuster fördern, schreibt er. Das Coronavirus, mit dem sich mittlerweile Behörden aller Länder abmühen, ist ein solcher Unsicherheitsfaktor. Das Ding macht uns Angst, wir hören viele Fragen und viele einleuchtende, aber auch manche dumme Antworten.

Unser Verhalten ist trotz iPhone und künstlicher Intelligenz noch immer von der Evolution geprägt. Egoismus dient dem Eigenschutz, sichert uns das Überleben. Für den anderen zu sorgen, kam im Aufgabenkatalog der Evolution erst dann dazu, als wir unsere persönliche Lebensbasis gesichert hatten. Noch heute entwickeln wir ein Abwehrverhalten und unbewusste Widerstände gegen Massnahmen, die andere schützen, aber unsere persönliche Freiheit beschränken. So halten wir die Corona-Empfehlungen des Bundes für übertrieben und foutieren uns darum. Vor allem dann, wenn wir uns nicht in der Risikogruppe wähnen, also jung und gesund sind. Oder wir verhalten uns sogar offen krass egoistisch und hamstern Lebensmittel oder klauen beim Arzt Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel.

Diesem Verhalten liegt ein Denkfehler zugrunde. Wir müssen uns nicht mehr individuell vor dem Hackebeil eines Rivalen oder vor einem wilden Tier schützen. In der modernen Welt ist der Kollektivschutz längst auch zum Individualschutz geworden. Dies zeigen Berechnungen zur Ausweitung des Virus. Würde man nichts unternehmen und ihm einfach einen Freipass zur Verbreitung geben, nähme die Zahl der Infizierten exponentiell zu. Also stiege auch die Wahrscheinlichkeit, selber zu erkranken, schnell und massiv an.

Der Schutz der anderen wird also auch zum Selbstschutz. Berechnungen zeigen, dass der Höhepunkt der Corona- Pandemie in der Schweiz ohne Gegenmassnahmen etwa im Mai erfolgen würde, mit einer riesigen Zahl an Patienten, die gleichzeitig erkranken. Man mag sich nicht ausdenken, was dies für die Spitäler bedeuten würde. Mit starken Massnahmen, welche den Kontakt unter den Menschen auf ein Minimum beschränken, wird die Ausbreitung verlangsamt, die Infektionen verteilen sich auf einen längeren Zeitraum, und der Höhepunkt wird auf viel tieferem Niveau etwa Anfang Juli eintreten. Damit hat das Gesundheitswesen Zeit, die schweren Erkrankungen zu verkraften.

«Unser Verhalten ist noch immer evolutionär geprägt.»

Die Asiaten haben schon längst erkannt, dass gute Prävention die halbe Miete ist. Hongkong, Taiwan, Vietnam und Südkorea sind von Corona nur gering betroffen. Weshalb? Die Sars-, Schweinegrippe- und Mers-Viren, die in den letzten Jahren diese Länder mit teilweise hohen Sterberaten heimgesucht haben, bewirkten ein massives Hochfahren der Präventionsprogramme. Diese Länder haben aus früheren Krisen gelernt und sind entsprechend gegen Corona gewappnet. Bei ersten Verdachtsfällen werden Gebiete systematisch abgeriegelt, der Gefahr wird damit die Spitze gebrochen.

In Europa war das anders. Virus-Epidemien hielt man in diesen Breitengraden für ein eher exotisches Problem. Man konnte sich nicht vorstellen, dass in unserem von Lifestyle und Ernährungsfetischismus geprägten und medizinisch durchgetakteten Gesundheitssystem plötzlich so ein Corona-Monster das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringen könnte. Entsprechend lasch hat beispielsweise Deutschland reagiert, das lange Zeit Massenveranstaltungen tolerierte. Auch Italien wurde auf dem falschen Fuss erwischt, wuchs dann aber quasi über sich selbst hinaus.

Für die Schweiz ist klar: Sobald die Sache durch ist, muss auch sie bezüglich Prävention über die Bücher. Es kann nicht sein, dass innert Tagen Desinfektionsmittel, Atemschutzmasken und anderes medizinisches Schutzmaterial vom Markt verschwinden und zu Spekulationsobjekten werden. Auch die behördlichen Massnahmen müssen konziser sein und nicht in einem Föderalismus-Wirrwarr verpuffen.

Die Schweiz muss jetzt nicht nur der Wirtschaft unter die Arme greifen, sondern auch eine Taskforce aufstellen, die für künftige ähnliche Krisen – mit denen man rechnen muss – ein klares Vorgabenprogramm aufstellt, inklusive allfälliger Gesetzesrevisionen. Asien könnte hier für einmal Vorbild sein.

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Ein guter Artikel, lieber Andrea, nur scheint es, dass der Kollektivgedanke bei Deinen Nachfolgern in den Redaktionsstuben der Somedia noch nicht angekommen ist. Hier werden immer noch mit reisserischen Titeln (ab Montag steht Graubünden still) Klick-Raten generiert oder in gewohnt-provokanter Boulevard-Manier (mit wie vielen Toten rechnen Sie in Graubünden, Herr Peyer ?) Beiträge produziert. Egoismus pur ist der Fakt, dass weiterführende Informationen zur aktuellen Lage derzeit nur über das (notabene kostenpflichtige) Abo verfügbar sind. Es wäre Zeit, sich in den Dienst des Kollektivs zu stellen und die Empfehlungen des Kantonalen Führungsstabs an die Einwohner zu verbreiten.

Sehr schön. Wir sollen uns also diejenigen zum Vorbild nehmen die durch ihr umwelt- und tierverachtendes Verhalten solche Krankheiten erst heraufbeschwören. Bravo

Grüezi Herr Masüger
Ich glaube nicht dass wir noch mehr Desinfektionsmittel benötigen etc. Wir brauchen ein gesundes Volk und weniger Chemie. https://youtu.be/3w7aONfIsQA
Bitte schauen Sie die ersten 15minuten, mehr nicht. Ich freue mich auf ihren nächsten Masüger sagts. Eigentlich sollte man das Video in alle Sprachen übersetzen und weltweit verteilen... Michael Wenk

Die Asiaten haben noch einen weiteren Vorteil. Wissenschaft und Medizin haben dort noch den Respekt, den sie in der Schweiz und anderswo in den letzten Jahren verloren hatten. Wir bezahlen jetzt den Preis fur diese Ignoranz.

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