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«Raus aus der Lagune»: Ärger über Kreuzfahrt-Start in Venedig

Durch die Lagune in Venedig arbeitet sich ein tonnenschwerer Stahlkoloss durchs Wasser, umringt von Dutzenden kleinen Booten, die wie Spielzeuge dagegen wirken. In den Bötchen sitzen fahnenschwenkende Menschen, vom Ufer schallen Sprechchöre. Die Rufe der Menschen sind kein Jubel, sondern vielmehr der Ausdruck von Ärger über eine Branche, die nach der Corona-Pandemie wieder aus dem Schlaf erwacht: Kreuzfahrten. Nach gut eineinhalb Jahren legte am Samstag unter lautstarken Protesten wieder ein grosses Kreuzfahrtschiff in Venedig ab.

Agentur
sda
06.06.21 - 14:22 Uhr
Ereignisse
dpatopbilder - Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie hat wieder ein großes Kreuzfahrtschiff in Venedig abgelegt - unter lautstarkem Protest von "No Big Ships"-Aktivisten. Foto: Antonio Calanni/AP/dpa
dpatopbilder - Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie hat wieder ein großes Kreuzfahrtschiff in Venedig abgelegt - unter lautstarkem Protest von "No Big Ships"-Aktivisten. Foto: Antonio Calanni/AP/dpa
Keystone/AP/Antonio Calanni

In den Rufen Hunderter Demonstranten erklingt die klare Botschaft: «Grosse Schiffe raus aus der Lagune». In ihren Booten, mit Fahnen und Spruchbändern passten die Demonstranten den Kreuzer ab. Die Bewegung «No Grandi Navi» (Keine grossen Schiffe) hatte zu den Protesten aufgerufen. Über Monate hatte wegen der Corona-Pandemie kein grosses Kreuzfahrtschiff in der Weltkulturerbestadt angelegt.

Das Virus liess in der sonst vor Touristen brummenden Stadt Ruhe einkehren, was einige Bewohner freute, Geschäftstreibende aber an ihre wirtschaftlichen Grenzen brachte. Über die Kreuzfahrtschiffe wird in der Stadt im Nordosten Italiens seit Jahren gestritten.

Die «MSC Orchestra», ein Schiff, das nach Unternehmensangaben 2550 Passagiere beherbergen und eine Besatzung von mehr als 1000 Menschen mit sich führen kann, brach zu einer einwöchigen Mittelmeerkreuzfahrt auf. Knapp 294 Meter Länge und rund 60 Meter Höhe misst der Pott. Das Schiff gehört eher zu den mittelgrossen Kreuzern.

Für Ärger hatte in Venedig vor allem die Route des Schiffs durch die Lagune gesorgt. Genau da wollen die Gegner die grossen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr haben. «Das hätte ein April-Scherz sein können», schrieben «No Grandi Navi» in ihrer Protest-Ankündigung mit Bezug auf eine Regelung, die am 1. April in Kraft trat. Darin veranlasste die Regierung in Rom einen Ideenwettbewerb, um Lösungsvorschläge für eine Anlegestelle ausserhalb der Lagune zu sammeln. Konkrete Pläne liegen bislang noch nicht vor.

Die Demonstranten kritisieren, die Schiffe schadeten der Umwelt in der Lagune. Durch die Kreuzfahrer entstehe zudem eine Mono-Tourismuskultur, die man in Venedig nicht mehr haben will. Laut MSC soll die «MSC Orchestra» bis Mitte Oktober jeden Samstag in Venedig anlegen. Die Befürchtung der Kritiker ist, dass der Massentourismus in der Stadt zurückkehrt und kritisieren unter anderem, dass aus Gier gehandelt wird.

Dass es in Venedig jetzt schon mit den Kreuzfahrten wieder losgeht, überraschte dagegen den Kreuzfahrtverband Clia. Nach den Millionenverlusten in der Industrie sei das ein positives Zeichen, sagte der Italien-Chef des Verbands, Francesco Galietti, der Deutschen Presse-Agentur. Im Streit um die Fahrt durch die Lagune und die Suche nach einer neuen Anlegestelle, verlange die Clia eine stabile Lösung. Das Problem liege unter anderem an den Zuständigkeiten der Regierung in Rom und der lokalen Behörden.

Das Thema Kreuzfahrt in Venedig hatte sogar internationale Promis auf den Plan gerufen, darunter Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger, Schauspielerin Tilda Swinton und Regisseur James Ivory. Sie hatten in einem offenen Brief einen «Stop für den Verkehr grosser Schiffe in der Lagune» gefordert. Das Schreiben war an Italiens Regierung adressiert.

Doch längst nicht alle Bürgerinitiativen in Venedig richten sich gegen die Kreuzfahrtschiffe. «Ich bin es leid, darüber zu reden», sagte Marco Gasparinetti von der Gruppo 25 Aprile. Die Gruppe von Venezianern setzt sich dafür ein, dass Venedig trotz des sonst blühenden Geschäfts mit dem Tourismus und gestiegenen Preisen lebenswert für seine Einwohner bleibt. Venedig habe andere Probleme, sagte Gasparinetti. Er verwies dabei auf den Zustand der Transportmittel und des Gesundheitssystems in der Stadt.

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