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Origen wird definitiv zur Hotelière

Die Origen-Stiftung hat den «Löwen» in Mulegns erworben und stellt ein Buch über die Herberge vor.

Jano Felice
Pajarola
14.12.19 - 04:30 Uhr
Kultur

Die offizielle Schlüsselübergabe ist gestern Abend im festlichen Ambiente des alten Speisesaals im Posthotel erfolgt: Nach der «Weissen Villa» hat die Nova Fundaziun Origen nun auch den «Löwen» samt den dazugehörenden Liegenschaften von der Besitzerfamilie Willi übernommen. «Wir hatten den Kauf zurückgestellt, weil die finanziellen Mittel noch nicht da waren», so Origen-Intendant Giovanni Netzer. Jetzt aber könne ein wesentlicher Teil des Gesamtprojekts «Mulegns retten» als abgeschlossen betrachtet werden. «Und wir können mit der Sanierung anfangen.» Schon im Sommer 2020 sind laut Netzer erste Massnahmen an den Hotelgebäuden vorgesehen.

Unmenge von Quellen

Den aktuellen Forschungsstand zum «Löwen» kann Origen hingegen bereits präsentieren: in der ebenfalls gestern erstmals gezeigten Publikation «Post Hotel Löwe» von Historiker Basil Vollenweider. Gut ein Jahr lang hat er an diesem achten Band der Dokumentationsreihe «Origenal» gearbeitet; entstanden ist ein reich bebildertes Buch, das die Geschichte der Herberge und ihrer Besitzerfamilie Balzer von den Anfängen des Tourismus’ in Graubünden bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs schildert. «Der prestigeträchtige Bau», so Vollenweider in seinem Vorwort, «bewahrt nicht nur ein wichtiges Stück Geschichte Graubündens und des europäischen Reiseverkehrs im 19. Jahrhundert, sondern auch eine schier unüberblickbare Menge an historischen Dokumenten und Fotos.» Diese seien für den Band zusammengetragen und ausgewertet worden.

«Unglaublich pionierhaft»

Für Origen, so Intendant Netzer, sei klar gewesen, dass es dieses Buch auf jeden Fall brauche, unabhängig von der Entwicklung des Projekts «Mulegns retten»: um die historischen Grundlagen zum «Löwen» aufzuarbeiten – deshalb habe man den Auftrag an Vollenweider auch schon vor einem Jahr erteilt. Briefe der Familie Balzer, Rechnungen, Aufzeichnungen, strategische Überlegungen, das und noch viel mehr sei an Material vorhanden gewesen, und Vollenweider könne nun das «Porträt einer unglaublich pionierhaften, weltoffenen und sehr wirtschaftlich denkenden Familie» zeichnen, so Netzer. Deren Stammhaus war das Bad in Alvaneu, doch sie investierten unter anderem auch in Tiefencastel und Mulegns sowie in Tarasp, wo ihr Engagement im Badetourismus ihnen zu Mitteln verhalf, die sie in Mittelbünden einsetzen konnten. Gleichzeitig hatte die Familie viele Schicksalsschläge zu erdulden: Die Geschwister Christian, Johann und Anna Maria verloren im Kleinkindesalter in Mulegns ihre Eltern und wuchsen bei Onkel Josef und seiner Frau in Alvaneu Bad auf; dieser übertrug den beiden Brüdern später die Leitung des Familienunternehmenszweiges in Mulegns, ein Gasthaus mit Pferdewechselstation. Und von Christian Balzers 13 Kindern sollten später nur sieben das Erwachsenenalter erreichen, und drei von ihnen starben vor dem Vater.

Vollenweider berichtet aber natürlich auch vom Hotelbau ab 1850 unter Christian Balzer, vom Aufschwung und den Gästen aus aller Welt und von der Entwicklung des Transportwesens am Julier – «sehr spannende Einsichten dazu, was es bedeutete, sommers und winters Menschen und Waren über den Pass zu bringen», meint Netzer. Der Autor lässt Reisende aus alten Aufzeichnungen zu Wort kommen und erzählt vom aufkommenden Alpinismus, der in den Anfangsjahren auch für den «Löwen» von Bedeutung war – Gäste wetteiferten mit Einheimischen um Erstbesteigungen. Und er schildert den Versuch, das Hotel in ein Kurhaus umzuwandeln – gestoppt vom Krieg und Christian Balzers Tod.

Einzigartig ist schliesslich der Fundus an Bildern, die für den Band zur Verfügung standen: Sie stammen grösstenteils vom bekannten Fotografen Rudolf Zinggeler (1864–1954). Er war oft Gast im «Löwen» und hielt Land und Leute des Surses mit der Kamera fest. Dazu kontrastieren heutige Farbaufnahmen aus dem «Löwen» von Origen-Fotograf Benjamin Hofer.

Basil Vollenweider: «Post Hotel Löwe». Verlag Nova Fundaziun Origen, 276 Seiten, 54 Franken.

Jano Felice Pajarola berichtet seit 1998 für die «Südostschweiz» aus den Regionen Surselva und Mittelbünden. Er hat Journalismus an der Schule für Angewandte Linguistik in Chur und Zürich studiert und lebt mit seiner Familie in Cazis, wo er auch aufgewachsen ist. Mehr Infos

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Was ich bei diesem ganzen Projekt "Mulegn retten", Origen, Gastronomie etc. – diesem ulimativen Nonplusultra-Superlative-Booster («Unglaublich pionierhaft», «Gut ein Jahr lang hat er an diesem achten Band der Dokumentationsreihe «Origenal» gearbeitet») stets nicht verstand, komisch fand, eben nicht originell oder gar genial: Retrospektive und Aufarbeitung oller Kamellen in Ehren, aber: uns läuft die Zukunft davon. Ich sehe hier null Turnaround/USP diesbezüglich. Erhaltung und Förderung der Arten (die uns unter der Hand wegsterben gemäss Medienberichten), Gesundheit der Umwelt und unserer selbst. Deshalb mein Vorschlag: "Gesundheitstourismus auch für Einheimische – Vorbild für die Welt".
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https://www.suedostschweiz.ch/kultur-musik/2017-12-27/zum-tee-bei-den-h…
Wolfgang Reuss
27.12.2017 - 16:58 Uhr
SO schreibt:
"Pop-Up-Turm. Tearoom. Zuckerbäckerhandwerk. «Tee im Turm». Giovanni Netzer ist «systemrelevant» (...) und Beizer.
Gebeine im Gepäck
Netzer wäre nicht Netzer, würde er nicht auch noch Tee und Kuchen mythisch überhöhen. Serviert zum köstlichen Muffin mit Ananasstückchen und Datteln oder der orientalischen Variante der Bündner Nusstorte wird nämlich eine ziemlich abenteuerliche Geschichte. Die Weisen aus dem Morgenland sollen über die Alpen gezogen sein – vielleicht sogar über den Julier.
Allerdings waren sie da schon tot. 1164 wurden ihre angeblichen Reliquien in den Dom von Köln gebracht. Die fantastischen Begleitumstände dieser Reise kann man in einer Broschüre am Tisch nachlesen."
Ich schreibe:
Der "mythisch überhöhende" Netzer als "systemrelevante" x-te "Strategie" von GRF oder von himself only? Anyway: ich finde es irrelevant, Heisse Luft, Ablenkung von dem, was wirklich zählt bzw. vor allem das Gegenteil meines Gesundheitstourismus.
Netzer: "Die Weisen aus dem Morgenland sollen über die Alpen gezogen sein – vielleicht sogar über den Julier."
Um nun in quasi netzer'scher Weise auch mal etwas "überhöhend" auf die Tube (bzw. historischen Literaturgebeine) zu drücken, zitiere ich hier aus einem Leserbrief (zu einem Artikel in SPIEGEL 38/1983 "Schweiz: Schwyzerdütsch wird immer mehr angewandt") von S. Soppa aus Campione d'Italia:
"Da den Schweizern eine eigentliche völkische Identität fehlt, da sie grösstenteils von durchziehenden Stämmen der Völkerwanderungen abstammen, zum Beispiel von Hannibals Fusskranken oder von umherstreifenden Araberhorden (den Nachweis findet man in den Namen wie Saladin und Sarasin), möchten sie sich nun auf Biegen und Brechen ein eigentliches Erkennungsmerkmal geben."
Das mag stimmen oder nicht - jedenfalls kommen mir Netzers "Showdarbietungen" bzw. "Conférenciertalent" bzw. "Marketingselfsales" auch nicht besser vor.

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