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Ode an ein Glühwürmchen

«Wer jetzt noch irgendeinen Frust schiebt», sagte die Pro­tagonistin nach zwei herrlich komischen Stunden zum Abschied, «der gehe und lese Mark Twain.» Eine gute Alternative wäre auch, sich auf Bea von Malchus in ihren «Yankee Jodel – in die Alpen mit Mark Twain» einzulassen.

Barbara
Gassler
11.01.22 - 17:01 Uhr
Kultur
Mit minimalistischen Mitteln lässt Bea von Malchus ganze Welten entstehen.
Mit minimalistischen Mitteln lässt Bea von Malchus ganze Welten entstehen.
zVg/Johannes Frigg

Da sitzt sie nun, auf einem erhöhten, besonders standfesten Stuhl, die Füsse auf einem Schemel, der es erlaubt, Blicke auf die mit Schweizerwappen verzierten Sohlen zu erhaschen. Hinter ihr thront das Matterhorn. Sehnsuchtsort von Mark Twain und seinem Reisegefährten sowie Freund Harris. Doch noch befinden sich die beiden Reisenden in Luzern. Twain kettenrauchend und Harris das Alpenpanorama poetischen beschreibend. Der unter einer Schreibblockade leidende Twain soll «300 Seiten über die Alpen und die Verrückten, die darin herum­klettern», schreiben.

Alpensteckenstock und Baedeker

Auf ihrem Stuhl sitzend, verkörpert Bea von Malchus unter vollem Körpereinsatz die beiden Reisenden und alle die weiteren liebevoll gezeichneten absurden Figuren, die im Lauf des Abends noch auftreten und wieder untergehen. Ein überdimensionierter Gehrock verwandelt sich je nach Bedarf in den Rock der Jodlerinnen oder die Ausrüstung eines «Britischen Alpinstrebers». Diese sind übrigens alle ausgerüstet mit einem «Alpensteckenstock», einem Utensil, das die beiden Reisenden sich natürlich als Erstes zulegen müssen. Begleitet von ­diesem und in ständigem Wettstreit mit dem Baedeker – zur Zeit Mark Twains DER Reiseführer schlechthin – machen sie sich auf, die Festungen der bekannten Alpengipfel zu erobern. Unnötig zu ­erwähnen, dass ihnen das unter grossen Mühen auch gelingt. Fast zumindest.

Bea von Malchus lebt ihre Figuren.
Bea von Malchus lebt ihre Figuren.
zVg/Johannes Frigg

Kino für den Kopf

Unterwegs begegnen ihnen allerlei ­schräge Gestalten, in die sich Bea von Malchus chamäleonartig und mit grosser Spiellust fast im Sekundentakt ver­wandelt. Ohne sich von ihrem Stuhl zu bewegen, vermag Bea von Malchus ihre Figuren lebendig werden zu lassen. Mit jedem Ziehen an der imaginären Zigarette, mit jedem ehrfürchtigen Blick in den Abgrund zeichnet sie Bilder in den ­Köpfen der Besucher, die sie mit ihren frechen Sprüchen und abrupten Tempi sowie Stimmungswechseln farbig anmalt.

Verbeugung vor Mark Twain

Den Besuchern am nächsten zu kommen vermögen der mit seinem Schicksal ­hadernde Twain und sein serviler Harris. Nichts bleibt ihnen erspart. Nicht das beinahe Scheitern an der unbezwing­baren Rigi, noch das Verpassen und Verpennen des unerlässlichen Sonnenaufgangs. Bea von Malchus lässt sie alles erdauern und beklagen, während sie einen Regen geistreicher Pointen auf die Zuhörenden prasseln lässt. Der theatralischen Darstellung zum Trotz ist es kein schenkelklopfender Humor, den Bea von Malchus bietet, sondern kleine Spitzen, die nichts auslassen. Weder das Moderne noch die Vergangenheit, nicht die Quantenphysik noch die Existenzialphilosophie. Respekt hat sie dabei nur vor Mark Twain, in dessen schwierige Biografie sie einen Einblick gewährt und ihn zitiert: «Die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Kummer.» So kommt die Darstellerin schlussendlich zum Schluss, dass wir alle hier auf Erden nur Würmchen seien. Mark Twain aber sei ein Glühwürmchen. Nicht zu verachten ist allerdings auch Bea von Malchus.

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