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«Das Ende der Trump-Ära ist besiegelt»

Trump-Anhänger stürmen das Kapitol in Washington. Was bleibt noch nach diesem beispiellosen Angriff auf die Demokratie?

Kristina
Schmid
07.01.21 - 17:20 Uhr
Politik
USA CAPITOL RIOT AFTERMATH
Trump-Anhänger haben am Mittwoch das Kapitol gestürmt.
KEYSTONE

Das Kapitol. Sitz beider amerikanischen Kongresskammern. Das Herz der Demokratie. Gestern Mittwoch sind dort Fensterscheiben zerbrochen. Gestern vernebelte dort Tränengas die Sicht. Und gestern starb dort eine Frau. Kurze Zeit später sass ein Mann mit heidnischen Tattoos und Wikinger-Helm auf dem Stuhl des Sitzungsleiters im Plenarsaal.

Die Bilder, die zurzeit aus Washington um die Welt gehen, sind verstörend. Sie sind Sinnbild dafür, welchen Schaden Donald Trump angerichtet hat: Ein US-Präsident tritt mit Füssen, was er schützen soll: Rechtsstaatlichkeit und den Akt freier Wahlen. Aus Geltungssucht und Machtbesessenheit. Es ist ein dunkler Tag für Amerika. Eine Schande, wie Barack Obama sagt. Ein beispielloser Angriff auf die Demokratie, wie Joe Biden es ausdrückt. Es ist eine Tragödie sondergleichen.

USA-Korrespondent der «Südostschweiz», Thomas J. Spang, und der Bündner US-Experte René Mehrmann, ordnen die Lage und die Geschehnisse in Washington für uns ein.

Die Bilder, die zurzeit aus Washington um die Welt gehen, sind verstörend. Thomas J. Spang, Sie waren zu diesem Zeitpunkt vor Ort. Wie haben Sie diese Stunden erlebt?

Thomas J . Spang: Es begann mit Unglauben und endete mit ernsten Bedenken darüber, was sich da eben zutrug. Ich konnte überhaupt nicht verstehen, wie das soweit kommen konnte. Gerade weil ich aus eigener Erfahrung weiss, wie gross die Sicherheitsvorkehrungen im Kapitol sind. Gerade weil die Demonstration angekündigt wurde. Und gerade weil wir in Washington viel Erfahrung mit Grossprotesten haben. Ich weiss nicht, wie es diesem Mob gelang, dieses Heiligtum zu entweihen.

René Mehrmann, wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Trump-Anhänger das US-Kapitol stürmen?

René Mehrmann: Eigentlich nahm das alles 2015 seinen Anfang, als Donald Trump seine Kandidatur für das Präsidentenamt bekannt gab. Denn seit diesem Tag predigte er stets dasselbe: Die Medien verbreiten Lügen über mich. Ich bin der beste Präsident. Und: Ich bin ein wahnsinnig guter Präsident. Mit diesen Worten hat er sich immer selbst gefeiert. Als er die zweite Wahl gegen Joe Biden verloren hat, behauptete er immer, die Wahl sei ihm gestohlen worden. So hat er seine Anhänger aufgestachelt. Mich hat es also nicht wirklich überrascht, dass das Kapitol gestürmt wurde.

Wenn es nicht überrascht, weshalb war die Polizei auf einen solchen Versuch nicht besser vorbereitet?

René Mehrmann: Das ist die grosse Frage. Als ich die Geschehnisse live via CNN verfolgt habe, fragte ich mich schon, wo eigentlich die Polizei bleibt. Schliesslich rief Trump seit mehr als einer Woche zu einer Grossveranstaltung auf. Sie sollte dann stattfinden, wenn der Kongress tagt und die Wahl-Ergebnisse evaluiert würden. Man musste also damit rechnen, dass Zehntausende Trump-Anhänger in Washington aufmarschieren würden. Als es dann so weit war, standen den Demonstranten einige wenige Polizisten gegenüber. Sie waren überhaupt nicht vorbereitet.

Haben Sie eine Erklärung dafür, Thomas J. Spang?

Thomas J. Spang: Es gibt Hinweise darauf, dass die Polizisten und die Sicherheitskräfte zur Zurückhaltung angehalten wurden. Eine andere naheliegende Erklärung ist, dass solche Drohungen in aller Regel nicht in Tat umgesetzt werden. Ich meine, zuletzt zogen 1812 wilde Horden durch den Kongress. Das ist ewig lange her. Warum die Verantwortlichen für die Sicherheit nicht sofort mobilisiert wurden und weshalb es so lange dauerte, bis Verstärkung schliesslich eintraf, das ist noch unklar. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass es an Organisation oder Personal mangeln würde. Jemand wollte ganz offenkundig nicht in Erscheinung treten. Und Trump hatte einfach nichts unternommen.

Haben Sie sich zu einem Zeitpunkt Sorgen gemacht?

Thomas J. Spang: Nein, denn ich wusste, das war kein Umsturz. Das war kein Volksaufstand. Für einen echten Putschversuch braucht man das Militär und die Leute vom Sicherheitsdienst. Und nicht irgendwelche Clowns, die durch das Kapitol ziehen. Das waren einige wenige Radikale. Und man darf ihnen nicht mehr Macht und Einfluss zusprechen, als sie eigentlich haben. Dennoch ist der Schock darüber gross, dass es den Protestierenden gelang, das Kapitol zu stürmen. Das ist das Ergebnis einer – bitte verzeihen Sie meine Wortwahl – Shitshow der letzten vier Jahre. Donald Trump hat die Präsidentschaft wie eine Realityshow präsentiert – mit dem gestrigen Höhepunkt. Oder besser gesagt, Tiefpunkt.

René Mehrmann, glauben Sie, wir müssen uns auf weitere Ausschreitungen gefasst machen?

René Mehrmann: Ja, denn bis zur Amtseinführung von Joe Biden geht es ja noch einige Tage. Und diese Randalierer sind immer noch in Washington. Sie konnten das Kapitol schliesslich unbehelligt verlassen, wurden nicht verhaftet.

Werden Konsequenzen erst noch folgen, Thomas J. Spang?

Thomas J. Spang: Ja. Das muss rechtlich aufgearbeitet werden. Alle, die im Hintergrund die Fäden bei dieser Aktion gezogen haben, müssen strafrechtlich verfolgt werden. Alle Menschen, die in den Kongress eingedrungen sind, müssen strafrechtlich verfolgt werden. Und glauben Sie nicht, die kämen davon. Im und ums Kapitol hängen überall Kameras. Diese Menschen dürften leicht zu identifizieren sein. Der Vorfall muss ausserdem politisch aufgearbeitet werden. Hier stellt sich die Frage, wie ein Mann mithilfe einiger Senatoren und Kongressabgeordneter die Arbeit im Weissen Haus zu einem Zirkus umfunktionieren konnte.

Was kann man zur Politik des Landes heute sagen?

René Mehrmann: Die amerikanische Demokratie hat einen riesigen Image-Schaden erlitten. Die Amerikaner haben sich stets gerne als die grosse Vorzeigedemokratie präsentiert. Sie haben auf der Welt quasi Polizist gespielt und verlangt, dass andere Länder es ihnen in puncto Demokratie gleichmachen. Nun hat sich gezeigt, dass diese Demokratie im Moment nicht sonderlich gut funktioniert.

Hat es die Demokratie in den USA also auch nachhaltig geschädigt?

Thomas J. Spang: Es hat zumindest Fragen aufgeworfen. Eine Demokratie gibt es nicht ohne Demokraten. Die Geschehnisse von Mittwoch haben gezeigt, wie verletzlich die Demokratie ist. Und was passiert, wenn sie nicht verteidigt wird – auch physisch.

Würden Sie sagen, dies sei einer der dunkelsten Tage der amerikanischen Demokratie?

Ja. Aber einer, der mit einem Lichtblick endete. Der Kongress nahm seine Arbeit wieder auf und verkündete Joe Biden formell zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Die Aktion drängt den Verdacht auf, dass Trump den Bogen überspannt und seine Partei stark geschwächt hat. Ihm ist am Mittwoch die Macht entglitten. Das Ende der Trump-Ära ist damit besiegelt. Nun steht Biden vor der grossen Aufgabe, die gesellschaftliche Temperatur zu drosseln. Den politischen und gesellschaftlichen Graben gab es in den USA zwar schon immer. Doch nun geht es darum, Erde darauf zu schütten und ihn nicht noch zu vertiefen.

Kristina Schmid berichtet über aktuelle Geschehnisse im Kanton und erzählt mit Herzblut die bewegenden Geschichten von Menschen in Graubünden. Sie hat Journalismus am MAZ studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Rheintal, worüber sie in ihrem Blog «Breistift» schreibt. Mehr Infos

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D. Trump wird sich vermutlich seinen eigenen Kanal schaffen müssen, um zukünftihmit seinen Anhängern zu kommunizieren. Twitter und Facebook werden ihn nach dem 20. Januar vermutlich ganz rauswerfen, das kostet Reichweite. Mal sehen, ob er dann immer noch einen solchen Einfluss hat.

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