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«Unsere Idee ist ein Leben ohne G»

Der Bündner Gesundheitsdirektor Peter Peyer sieht Licht am Ende des Coronatunnels. Und er setzt für die Impfwoche auf eine neue Idee.

Südostschweiz
20.10.21 - 17:10 Uhr
Politik
Der Bündner Gesundheitsdirektor Peter Peyer im Interview.
Der Bündner Gesundheitsdirektor Peter Peyer im Interview.

von Fabio Theus und Philipp Wyss

Peter Peyer, wann ist Corona vorbei?

Ganz vorbei sein wird es nie. Die Frage ist aber, wann ist Corona soweit vorbei, dass wir aktuell noch geltende Massnahmen aufheben können. Und diesbezüglich sind wir zuversichtlich, dass wir relativ nahe dran sind. Dazu benötigen wir aber noch einen Effort.

Sie sehen also Licht am Ende des Coronatunnels.

Ja, das sehen wir. Aber es braucht noch genügend Leute, die sich ein Herz fassen, und sich impfen lassen. Dann haben wir den letzten Spitz, der noch fehlt, geschafft.

In letzter Zeit steigen die Fallzahlen wieder. Macht das dem Bündner Gesundheitsdirektor Sorgen?

Die Zahlen in der Schweiz steigen. Ob sich dieser Trend auch in Graubünden niederschlägt, ist noch nicht ganz klar. Es gibt zwar Anzeichen. Dass die Fallzahlen ansteigen, ist noch nicht sonderlich dramatisch. Die Frage ist, welche Auswirkungen das auf unsere Intensivstationen haben wird. Das Beste ist, wenn sich noch mehr Leute impfen lassen.

Am Montag, 18. Oktober, waren in Graubünden 133'885 Personen einmal geimpft. Das entspricht knapp 73 Prozent der impfbaren Bevölkerung. Bei den über 65-Jährigen sind 90 Prozent geimpft. Das reicht, oder?

Ja, das reicht – in dieser Altersgruppe sind wir auf einem sehr guten Level. Bei den 40- bis 60-Jährigen sind wir bei einer Impfrate von 75 Prozent. Da fehlen uns noch fünf Prozent oder 2800 Personen, die noch geimpft werden sollten. Diese Gruppe hat uns in den letzten Wochen in den Intensivstationen am meisten Sorgen bereitet.

Das ist eine stattliche Zahl. Schafft das der Kanton?

Da braucht es noch Überzeugungsarbeit. Im August sprachen wir von einem Impfziel von 800 Personen pro Tag. In den vergangenen Wochen haben wir das plus-minus einhalten können. So gesehen brauchen wir noch ein paar Tage. Dann sollten wir das Ziel auch in dieser Altersgruppe erreicht haben. Diese Zielgruppe werden wir in der Impfwoche speziell ansprechen.

Wir müssen uns überlegen, wie wir die Jungen besser ansprechen und wo wir Angebote machen können.

Peter Peyer, Bündner Gesundheitsdirektor

Wie steht es mit den jüngeren Bündnerinnen und Bündnern? Dort ist die Impfquote ziemlich tief.

Das ist so. Für diese Altersgruppe müssen wir uns überlegen, wie wir die Jungen besser ansprechen und wo wir Angebote machen können. Es braucht noch viel Beratung und Aufklärungsarbeit. Es schwirren viele Falschinformationen herum, welche die Leute verunsichern.

Vom 8. bis 14. November findet eine nationale Impfwoche statt. Welche Vorschläge hat der Kanton Graubünden dem Bund eingereicht?

Ich kenne nicht alle Vorschläge. Einer ist ein kostenloser Antikörpertest mindestens in einer Region im Kanton. Viele Leute waren einmal krank und wissen aber nicht, dass sie an Corona erkrankt waren. Bei solchen Menschen würde dann eine Impfung reichen. Weiter müssen wir zusammen mit Hausärzten, Apotheken und Impfzentren Informationen abgeben und die Leute von der Impfung überzeugen.

Dann war das Ende des Impfbusses und die Erstellung von Zertifikaten aus den Betriebstests nicht die Resignation der Bündner Regierung?

Ich weiss von Personen, die einen Impftermin abgesagt haben, als sie erfuhren, dass aus Betriebstests Zertifikate generiert werden können. Sobald wir eine gewisse Impfquote erreicht haben, können wir Massnahmen zurückfahren.

Von welchen Massnahmen sprechen wir?

Zunächst von der Maskentragpflicht. Uns später auch von der Zertifikatspflicht.

Der Bündner Gesundheitsminister Peter Peyer im Interview.
Der Bündner Gesundheitsminister Peter Peyer im Interview.

Apropos Zertifikate: Hat Graubünden ein Problem mit gefälschten Zertifikaten?

Wenn überhaupt, dann hat Graubünden sicherlich kein grosses Problem damit. Aber es gab vereinzelt Fälle von gefälschten Zertifikaten und dubiosen Anbietern.

In aller Munde ist derzeit die Boosterimpfung, die dritte Impfung. Gab es diese in Graubünden bereits?

Gut 300 stark vorbelastete oder ältere Leute in Graubünden haben bis heute eine Boosterimpfung erhalten. Leute, die nach der zweiten Impfung keine Antikörper gebildet hatten. Grossflächig haben wir die Boosterimpfung noch nicht gemacht. Unser Fokus liegt derzeit auf den ersten beiden Impfungen. Zudem fehlt von der Eidgenössischen Impfkommission und vom Bundesamt für Gesundheit die Impfempfehlung dafür. Wenn die Empfehlung kommt, sind wir bereit, diese Drittimpfungen zu verabreichen.

Bei welcher Bevölkerungsgruppe kommt diese Boosterimpfung zuerst zum Einsatz?

Das hängt von der angesprochenen Impfempfehlung an. Ich gehe davon aus, dass ältere Leute, und Menschen mit einer Vorerkrankung Vorrang hätten. Global muss man aber sehen, dass der Impfstoff nach wie vor knapp ist. Es gibt zahlreiche Länder, in denen noch keine Impfung verabreicht werden konnten. Darum soll die Boosterimpfung nur abgegeben werden, wo es medizinisch indiziert ist.

Durch sein wird die Pandemie erst, wenn sie weltweit eingedämmt sein wird.

Peter Peyer, Bündner Gesundheitsdirektor

Der ethische Aspekt ist ein Problem.

Ja, das ist so. Es ist eine Illusion zu glauben, wenn in Graubünden oder in der Schweiz genügend Leute geimpft sind, dass dann die Pandemie vorüber ist. Durch sein wird die Pandemie erst, wenn sie weltweit eingedämmt sein wird.

Die SVP Graubünden hat in der Oktobersession eine Resolution eingereicht, in der gefordert wurde, dass sich unter 25-Jährige weiterhin kostenlos testen lassen können. Die Resolution wurde abgelehnt. Zurecht?

Ja, die Resolution wurde zurecht abgelehnt. Auf den ersten Blick scheint das Anliegen sympathisch. Aber wir haben hier einen Zielkonflikt. Es braucht stets die geeigneten Massnahmen. Langsam müssen wir mit Tests aufhören. Was uns jetzt hilft, sind Impfungen. Tests schützen nicht vor Erkrankungen, sie zeigen lediglich, dass man im Moment nicht erkrankt ist und niemanden anstecken kann. Längerfristig braucht es für die Aufhebung von Massnahmen Impfungen.

Im Grossen Rat haben sie gesagt, die Zeit der Tests sei langsam vorbei. Steuert Graubünden auf 2G zu; genesen oder geimpft?

Unsere Idee ist ein Leben ohne G. Wir möchten die Massnahmen aufheben, genügend Leute haben, die immun sind und die Pandemie im Griff haben. Die Tests stehen dieser Strategie etwas im Weg. Bis Ende November werden wir die Betriebstests mit Zertifikaten weiterführen. Aber Anfang November werden wir uns Gedanken machen, ob wir diese Möglichkeit beenden oder fortführen. Dannzumals sollten genügend Leute immun sein.

Werden die Impfungen in naher Zukunft kostenpflichtig?

Das muss der Bund entscheiden. Er sagt heute, was eine Impfung kostet. Ich gehe aber davon aus, dass die Impfungen noch eine gewisse Zeit lang gratis sein werden. Anschliessend gilt es die Frage zu klären, ob eine andere Impfung von den Krankenkassen bezahlt werden wird.

Graubünden hat insgesamt 16 Plätze in Intensivstationen. Zehn in Chur und sechs in Samedan. Wie oft waren diese vollständig ausgelastet?

Ja, es gab Überbelegungen. In Chur mussten einmal zwölf Patienten gleichzeitig behandelt werden. Dies betraf vorerkrankte Menschen wie auch ungeimpfte Personen.

In Graubünden gibt es ein aktuelles Beispiel von Impfungsdurchbrüchen. Der durchgeimpfte EV Zug spielte vergangene Woche in der Champions Hockey League in München und hätte am Dienstagabend in Davos gegen den HCD antreten sollen. Weil bei den Zentralschweizern mehrere Spieler an Corona erkrankt sind, wurde die Partie verschoben.

Ich kenne diesen Fall und die näheren Umstände nicht genau. Fakt ist, dass die Impfung sehr gut schützt. Es ist aber auch so, dass es Leute gibt, die weniger oder nicht gut auf die Impfung ansprechen. Aber alle Zahlen zeigen, dass die Impfung sehr gut schützt oder einen milden Verlauf zur Folge hat. Darum ist sie auf jeden Fall zu empfehlen. Auch wenn es in seltenen Fällen zu Durchbrüchen kommen kann.

In Chur findet am Wochenende das Big-Air-Festival statt. Erwartet werden am Freitag und Samstag 35’000 Zuschauer. Bereitet das dem Bündner GesundheitsdirektorSorgen?

Nein, ein solcher Anlass braucht ein Schutzkonzept. Die Stadt Chur ist für dessen Umsetzung verantwortlich. Ich vertraue da auf die Vernunft der Leute, die zuhause bleiben, wenn sie sich krank fühlen, um Durchbrüche zu verhindern. Wer an einem Grossanlass teilnehmen will ist mit einer Impfung besser geschätzt. Ein Restrisiko aber bleibt aber bestehen – wie im übrigen Leben auch.

Für die Wintersaison gilt – Stand heute – keine Zertifikatspflicht. Dies im Gegensatz zu unseren Nachbarländern Deutschland, Italien oder Österreich. Ist das für Graubünden eine Chance oder eine Gefahr?

Da mache ich mir wenig Sorgen. Das Ausland hat zwar im Gegensatz zu uns bessere Impfquoten. Wir werden aber mit geeigneten Massnahmen Sicherheit bieten können. Ich denke aber nicht, dass wir ohne Zertifikatspflicht zu einem Superspreader-Hotspot werden.

Bundesrat Alain Berset sagte vergangene Woche mit einer gewissen Resignation, dass er nicht wisse, weshalb die Impfquote in der Schweiz im Vergleich mit den Ausland nach wie vor tief ist. Weiss der Bündner Gesundheitsdirektor weshalb?

Das weiss ich auch nicht genau. Wir haben in der Schweiz generell sehr viele Freiheiten. Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi sagte einmal: impfen oder sterben. Das ist in der Schweiz unvorstellbar. Wir sind generell skeptisch gegenüber dem Staat und von ihm vorgeschlagenen Massnahmen. Und aktuell ist die Verunsicherung ungemein hoch. Zehn Prozent wollen wohl grundsätzlich nicht impfen. Und 15 bis 20 Prozent sind derzeit verunsichert. Es ist nun unsere Aufgabe, diese Leute zu überzeugen.

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Alle GD der Kantone stecken unter einer Decke mit A.B., BAG u. Taskforce! Wie kann man von einer Impfung, die sehr gut schützt sprechen, wenn es immer wieder und öfters zu Impfdurchbrüchen kommt? Eine verdammte Sauerei! Aufhören mit allen Massnahmen und gut ist.

What a nonse!

Herzlicher Gruss aus Zimbabwe wo die Menschen mit allen möglichen Massnahmen kämpfen und nur Sinopharm zur Verfügung haben und dies in zu kleiner Zahl! Alle, alle und überall mit Maske, welche Geduld..
Urs Fischer im Hwange.

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