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Alpin-Direktor Walter Reusser zur Gegenwart und Zukunft

Walter Reusser ist seit Dezember 2019 Alpin-Direktor von Swiss-Ski. Im Interview mit Keystone-SDA spricht er über gute Planung und mögliche Szenarien für den kommenden Weltcup-Winter.

Agentur
sda
27.05.20 - 16:12 Uhr
Ski alpin
Walter Reusser blickt nach vorne
Walter Reusser blickt nach vorne
KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Walter Reusser, die letzte Ski-Saison endete Anfang März abrupt. Was ist der aktuelle Stand bei den alpinen Skirennfahrern?

«Seit den Lockerungen am 11. Mai gab es für den Spitzensport wenig Einschränkungen. Wenn nun noch die Grenzen aufgehen sollten, so gäbe uns das noch mehr Möglichkeiten. Der Skirennsport hatte insofern Glück, als dass er von der Corona-Pandemie grösstenteils in der Zeit erwischt wurde, wo es ihm am wenigsten weh tat, nämlich in der Übergangsphase von der einen zur anderen Saison. Die Athleten konnten die Zeit daheim gut nutzen, all ihre 'Bobos' zu kurieren. Nun sind sie alle fit, gesund und motiviert. Sie freuen sich auf die ersten Schneetrainings.»

Die nun zumindest fürs Frauen-Team um einiges früher kommen als von Ihnen noch vor einigen Wochen angekündigt.

«Grundsätzlich planten wir wegen Corona mit den Schneetrainings ab Juli, mit Priorität in Zermatt und Saas-Fee. Dementsprechend war es nicht unser Ziel, vorgelagert noch für alternative Trainings auf Schnee zu sorgen. Wir hielten uns aber immer die Option offen, mit den Frauen Anfang Juni auf dem Stelvio zu trainieren. So wie es nun aussieht, führen wir dieses Trainingslager durch, wenn nicht in den nächsten paar Tagen noch etwas Unvorhergesehenes passiert. Das wird für uns zugleich ein guter erster Test sein, wie die ganzen Schutzkonzepte auf professioneller Ebene eingeführt werden können. Sowohl das Hotel wie auch das Skigebiet haben wir exklusiv für unsere Weltcup-Teams.»

Spielte bei diesem Entscheid eine Rolle, dass sich die Konkurrenz teils seit mehreren Wochen zurück auf dem Schnee befindet?

«Keineswegs. Auf die Anderen zu schauen und das nachvollziehen, was sie tun, ist nicht das, was wir wollen. Viel wichtiger ist es, dass man seinen eigenen guten Plan umsetzt. Die Frauen haben dieses Trainingslager gewünscht. Auch wird es nicht nur ums Skifahren, sondern zusätzlich um Team-Building und Anderes mehr gehen.»

In der letzten Woche gab es mehrere Video-Konferenzen von FIS-Gremien. Was denken Sie, wie die alpine Saison 2020/21 aussehen könnte?

«Es ist eigentlich verrückt. Wir haben Mai, die Temperaturen sind hoch, das Skitraining beginnt erst wieder und man hat das Gefühl, es dauert ja noch lange, bis die Saison wieder losgeht. Trotzdem müsste man schon bald erste Entscheide treffen. Aber die Struktur der Veranstalter auf der ganzen Welt ist verschieden. Einige leben von den Fans vor Ort und brauchen extrem viel Vorlaufzeit. Andere hingegen haben eh kaum Zuschauer an der Piste und leben hauptsächlich von den Fernseh-Einnahmen. Dementsprechend ist der Zeithorizont unterschiedlich.»

Das bedeutet, dass es mehrere Szenarien gibt.

«Das Szenario eins ist, dass es nur ein punktuelles Anpassen des bestehenden Rennkalenders gibt. Einige Rennen fallen vielleicht aus und werden mit solchen an anderen Orten zusammengelegt. Ein anderes, extremes Szenario wäre, dass der Weltcup sehr, sehr konzentriert durchgeführt wird. Ich sage nicht an nur drei, vier oder fünf Orten, aber jedenfalls an sehr wenigen. So könnte man die Risiken sehr stark eingrenzen, da wir wirklich nicht wissen, wie der nächste Winter sein wird.»

Wann wird entschieden?

«Das ist die grosse Frage, wann der richtige Moment dafür sein wird. Zur Zeit ist die FIS mit allen Ländern daran, eine gute Lösung zu finden. Dabei gibt es Termine von Anfang Juli bis spätestens Ende September, wo man den Rennkalender mit möglichst allen Gegebenheiten für den Winter haben will.»

Noch unklar ist auch, wann die nächsten Weltmeisterschaften stattfinden. Das OK von Cortina hat bei der FIS den Antrag gestellt, die Titelkämpfe von Februar 2021 in den März 2022 zu verschieben. Der Weltverband will bis zum 1. Juli entscheiden, ob er dem stattgeben will und es also zum «Superwinter» mit Olympischen Spielen und WM kommen wird.

«Wenn ja, dann ist vielleicht gerade gut, dass wir im letzten Winter gelernt haben, sehr flexibel zu sein. Wir haben gelernt, dass Sachen, die nicht vorstellbar sind, trotzdem möglich sind. Für 2022 wäre die Herausforderung für alle Nationen, Organisatoren und Athleten gleich. Man muss für eine gegebene neue Situation Lösungen suchen. Innerhalb von wenigen Wochen Olympiasieger und Weltmeister zu werden - oder eben nicht -, das hat doch auch etwas Verlockendes. Von Seiten Verband gilt es die diversen Szenarien gut im Kopf zu behalten. Auch wichtig ist es, die Belastung und Intensitäten der Athleten gut zu steuern, sodass diese gesund und fit am Start sein werden. Egal, ob dies nächsten Februar oder ein Jahr später sein wird.»

Tradition versus Moderne, erhöhter Geldbedarf vielerorts, Vermarktungs-Trubel ums Lauberhorn, richtungsweisende Präsidentenwahl bei der FIS - kann die Corona-Krisensituation auch eine Chance sein?

«Mir kommt das Wort Scheinsicherheit in den Sinn. Davon war die ganze Menschheit betroffen. Wir lebten in einer Scheinwelt und dachten, uns könne nichts passieren. Jetzt brauchte es nur einen kleinen Käfer - und ich sage es mit Absicht sehr despektierlich -, um die ganze Welt aus dem Lot zu bringen. Das hat gezeigt, dass wir offen sein müssen, für Chancen und auch Risiken. Gedanken wie 'Ach, das passiert eh nie' oder 'Wir haben ja noch zehn Jahre Zeit' sollte es nicht mehr geben.»

Sondern?

«Es gilt, die Chancen zu packen, wenn sie bestehen. Man muss über Veränderungen diskutieren können, wenn es denn Sinn ergibt. Ich erhoffe mir, dass nun einige Sachen schneller und zugleich mit positivem Spirit angegangen werden. Etwas, was vielleicht vor einem halben Jahr noch unvorstellbar gewesen wäre.»

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