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Urs Lehmann über erfolgreiche Frauen und missglückte Parallelrennen

Urs Lehmann, Präsident von Swiss-Ski, schwärmt in seiner WM-Bilanz von den erfolgreichen Schweizerinnen. Und übt Kritik an den Parallelrennen. Er sagt: «Das darf an einer WM nicht passieren.»

Agentur
sda
21.02.21 - 15:32 Uhr
Ski alpin
"Fazit: Hervorragend!": Urs Lehmann ist erfreut
"Fazit: Hervorragend!": Urs Lehmann ist erfreut
KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Urs Lehmann, die Schweiz beschliesst die WM in Cortina d’Ampezzo mit neun Medaillen. Was ziehen Sie für ein Fazit?

«Hervorragend! Ich möchte allen Athletinnen und Athleten ein riesiges Kompliment aussprechen, und nicht nur ihnen. Das ganze Team, von den Trainern über die Physiotherapeuten bis zu den Serviceleuten - was die alle geleistet haben, ist sensationell. Ich bin stolz, dass ich mit diesem Team arbeiten darf.»

Sie wissen bestimmt, wann die Schweiz letztmals so erfolgreich gewesen ist an Weltmeisterschaften.

«Unser Kommunikationschef vor Ort hat mich gut vorbereitet: 1989 war das, in Vail, als wir elf Medaillen holten. Allein dass wir in der Geschichte mehr als 30 Jahre zurückgehen müssen, um Vergleichbares zu finden, sagt viel aus über unsere Leistungen in Cortina.»

Drei 4. Plätze lassen erahnen: Es hätten sogar noch Medaillen sein können.

«Alle Medaillen waren wohlverdient. Ich sehe nicht eine, die uns glücklich in den Schoss gefallen ist. Zugleich hatten wird das Glück ein paar Mal nicht auf unserer Seite. Dass sich Loïc Meillard im Parallelrennen nicht die Goldmedaille umhängen durfte, finde ich enttäuschend. Er war in diesem Rennen mit Abstand der Beste an diesem Tag. Sein Beispiel zeigt, dass es an diesem Format noch einiges zu verbessern gibt.»

Die Parallelrennen als Schandfleck dieser WM?

«Wir waren sicher alle sehr unglücklich darüber, wie es gelaufen ist. Die Idee hinter den Parallelrennen ist gut, es wäre zu früh, sie zu begraben. Aber ja, sie zeigten uns die Defizite auf, die sie noch haben. Dabei bräuchte es nicht viel, um es besser zu machen: Hätte man die Limite statt bei einer halben Sekunde bei anderthalb Sekunden angesetzt oder die Zeiten ganz einfach addiert, hätte es keine Rolle gespielt, dass einer der beiden Kurse schneller war. So wie es war, hat selbst meine Grossmutter gesehen, dass Loïc Meillard keine Chance hat. In so einem Fall ist der Event gestorben. Das darf an einer WM nicht passieren, ganz klar.»

Warum wurde das Manko nicht frühzeitig erkannt?

«Man hätte das Format zwingend vorher austesten müssen, an FIS- oder Europacup-Rennen. Erst dann sollte es an einer WM zum Zuge kommen, wo die ganze Welt hinschaut.»

Die Meinung unter den Athleten war, dass es Parallelrennen und Kombinationen im Weltcup geben muss, damit sie eine Berechtigung an einer WM haben.

«In diesem Punkt muss ich die Entscheidungsträger in Schutz nehmen. Es muss gesagt sein, dass Parallelrennen junge Disziplinen sind, dass wir eine Pandemie haben und froh sein müssen, dass wir überhaupt Rennen bestreiten können. Man musste fokussieren in diesem Winter; auch die Kombinationen wurden aus diesem Grund aus dem Kalender gestrichen. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Disziplinen sich nur etablieren können, wenn auch auf unterer Stufe, im Europacup und an FIS-Rennen, solche Formate existieren. Wenn ich sehe, dass bei den Frauen weltweit vier Parallelrennen durchgeführt werden, ist das zu wenig.»

Und bei der Kombination?

«Bei der Kombination sieht man das Gegenteil: Sie war kurz vor dem Aussterben und wurde dank der Format-Änderung mit einem Super-G anstelle einer Abfahrt wiederbelebt. Sie kann jetzt an einem einzigen Tag durchgeführt werden, ohne die Abfahrtstrainings an den Vortagen. Dadurch nehmen jetzt 100 bis 120 Fahrer teil. Man sollte der Kombination nun etwas Zeit einräumen, um zu wachsen. Dass die Slalom-Piste in der WM-Kombi mit Wasser bearbeitet wurde, war falsch. So sahen sogar die Slalom-Spezialisten nicht gut aus.»

Wenn Sie entscheiden könnten: Wie viele Disziplinen sollte eine alpine Ski-WM beinhalten?

«Für mich geht es weniger um die genaue Anzahl. Wichtig ist, dass es gute Events sind - solche, die sich der Welt zeigen lassen, die die Leute begeistern und Sponsoren anziehen. Die Kombination und die Parallelrennen sind hier durchgefallen, nicht wegen der Disziplinen an sich. Es gilt, die richtigen Korrekturen vorzunehmen und ihnen noch einmal eine Chance zu geben. In ein, zwei Jahren soll man dann prüfen, ob die Wertigkeit stimmt.»

Zurück zu den erfolgreichen Schweizern. Die Frauen holten dreimal Gold und wie vor zwei Jahren in Are mehr Medaillen als die Männer. Überrascht?

«Keineswegs. Und ich freue mich sehr für die Frauen. Man könnte sagen: Wir haben das Gender-Thema gelöst bei Swiss-Ski. Wobei es das Thema für mich gar nicht gibt. Für mich soll die beste Leistung zählen, unabhängig vom Geschlecht. Die Frauen haben ihr Potenzial ausgeschöpft, bei den Männern wäre hingegen mehr drin gewesen. In der Abfahrt und im Super-G hatten wir Verletzungspech, fast das halbe Team brach uns weg. Urs Kryenbühl wäre in Cortina um Medaillen gefahren, ein gesunder Mauro Caviezel ebenfalls. Super-G und Abfahrt wären auf ihn zugeschnitten gewesen. Auch Niels Hintermann hatte mit einer Verletzung zu kämpfen.»

Bleiben die technischen Rennen der Männer als Enttäuschung?

«Einverstanden. In diesen haben wir als Equipe nicht geliefert. Wir hätten zu den stärksten Teams gehört.»

Lara Gut-Behrami ragt mit zweimal Gold und einmal Bronze heraus. Was sagen Sie zur Leistung der Tessinerin?

«Ich mag es ihr auch deshalb von Herzen gönnen, weil sie in der Öffentlichkeit immer ein wenig in einem falschen Licht herübergekommen ist. Lara ist eine der grössten Skifahrerinnen, die wir je hatten. Mit den zwei WM-Titeln hat sie ihrer Krone den fehlenden Zacken hinzugefügt.»

Ist ihr Erfolg das Ergebnis des von Ihnen besagten von gegenseitigem Respekt geprägten Reizklima?

«Auch das wird meiner Meinung nach medial immer noch gerne zu pointiert und zu extrem formuliert. Lara ist nicht die Einzelgängerin, als die sie dargestellt wird. Sie isst im gleichen Raum Frühstück wie die anderen Athletinnen, die Athletinnen haben ein gemeinsames Tagesprogramm, machen Sachen zusammen und trainieren auch miteinander. Selbstverständlich gibt es eine Individualität. Lara hat ihren Vater dabei. Sie hat Alejo Hervas als Trainer von uns an ihrer Seite, der aber auch sehr integrativ und fürs ganze Team tätig ist. Der Mittelweg zwischen Individualität und Team, den sie braucht und den wir gefunden haben, funktioniert. Der gegenseitige Respekt, die nötige Wertschätzung, ist da. Die Athletinnen müssen nicht zusammen in die Sommerferien gehen.»

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