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Das moderne Gehirn des Menschen ist vergleichsweise jung

Moderne menschenähnliche Gehirne haben sich vergleichsweise spät entwickelt, und erst nachdem erste Frühmenschen aus Afrika ausgewandert waren. Das zeigt eine Studie eines internationales Teams unter Leitung der Uni Zürich, wie die Hochschule am Donnerstag mitteilte.

Agentur
sda
08.04.21 - 20:00 Uhr
Wirtschaft
Eine Abbildung eines Schädels aus der Fundstätte im georgischen Dmanisi mit der abgeleiteten inneren Struktur des Gehirns. (Handout "Science")
Eine Abbildung eines Schädels aus der Fundstätte im georgischen Dmanisi mit der abgeleiteten inneren Struktur des Gehirns. (Handout "Science")
Marcia Ponce de León, Christoph Zollikofer / Universität Zürich

Die Gehirne des modernen Menschen sind wesentlich grösser als die der nächsten Verwandten, der Menschenaffen. Das Volumen allein kann aber die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns nicht hinreichend erklären. Vielmehr ist die innere Struktur des Gehirns, insbesondere der Frontallappen, wichtiger für kognitive Fähigkeiten wie Werkzeugherstellung, Sprache und soziale Interaktion.

Bisher sei man in der Fachwelt davon ausgegangen, dass vor etwa 2,5 Millionen Jahren die Populationen der Gattung Homo bereits ein Gehirn aufwiesen, das dem des modernen Menschen sehr ähnelte, sagte der Anthropologe und Letztautor der Studie, Christoph Zollikofer, von der Universität Zürich der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die im Fachmagazin «Science» erschienene Studie stellt diese Annahme jedoch in Frage. Die Autoren um Zollikofer und Erstautorin Marcia Ponce de León, ebenfalls von der Uni Zürich, legen dar, dass das moderne Gehirn wohl eine Million Jahre jünger ist als bisher angenommen.

Rund 40 fossile Schädel untersucht

Da Gehirne nicht versteinern, kann man bei Fossilien nur den Innenabdruck des Gehirns und seiner umgebenden Strukturen im Schädel untersuchen. Deshalb untersuchten die Forschenden im Computertomographen rund vierzig fossile Schädel der Art «Homo erectus», die aus Fundstätten in Afrika, der indonesischen Insel Java sowie aus Dmanisi im heutigen Georgien stammen. In Dmanisi finden sich Fossilien der ersten Auswanderungswelle der Gattung «Homo» von Afrika nach Eurasien, die auf eine Zeit vor rund 1,8 Millionen Jahren datieren.

Die aufgezeichneten Falten und Einbuchtungen in den fossilen Schädeln verglichen die Forschenden anschliessend mit Schädel- und Hirn-Daten von Menschenaffen und modernen Menschen.

Ausgeklügelte Werkzeuge und Sprache

Demnach wiesen die Gehirne der Frühmenschen aus Dmanisi noch sehr ursprüngliche Strukturen auf, die denen ihrer afrikanischen Vorfahren glichen. Ebenso waren sie vergleichsweise klein. Anders die fossilen Schädel aus Afrika: Gemäss den Analysen haben sich dort vor 1,5 bis 1,7 Millionen Jahren moderne menschliche Gehirnstrukturen herausgebildet.

«In dieser Zeit nahm die Vielfalt der Werkzeuge in Afrika zu», sagte Zollikofer. So tauchten neben primitiven Steinwerkzeugen etwa die ersten Faustkeile auf. Auch hätten sich damals wohl die frühesten Formen menschlicher Sprache entwickelt, vermuten die Forschenden.

Die Fossilfunde aus Java belegen, dass diese neuen Populationen äusserst erfolgreich waren. Denn bereits kurz nach ihrem Erscheinen in Afrika hatten sie sich während einer zweiten Auswanderungswelle bis nach Südostasien ausgebreitet.

Überleben im Winter trotz Ur-Gehirn

Spannend sei allerdings, dass ein modernes Gehirn offensichtlich keine Voraussetzung sei, um eine Auswanderung von Afrika nach Eurasien zu meistern, so der Anthropologe. «Die Auswanderer überlebten auch mit ihren vergleichsweise kleinen Hirnen die harten Winter auf der Nordhalbkugel, assen Fleisch und kümmerten sich um ihre Gruppenmitglieder.»

Die nächste Frage sei nun, ob Selektionsdrucke für die Evolution der Gehirnstrukturen verantwortlich waren, und wenn ja, welche, schrieb die Paläoanthropologin Amélie Beaudet in einem Begleitartikel zur Studie.

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