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Vom Altbau zum Recyclingbaustoff

Im Schweizer Umweltschutzgesetz ist festgehalten: «Abfälle müssen soweit möglich verwertet werden (USG, Art. 30. ff).» Die Baubranche generiert schweizweit das grösste Abfallvolumen. Für die Vertreter dieser Branche gilt daher, alles zu unternehmen, um Abfälle zu vermeiden, Stoffe zu rezyklieren und somit den Stoffkreislauf zu schliessen.

Wohnen
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12.10.20 - 09:48 Uhr
Rezyklierte Baustoffe können problemlos wiederverwertet werden.
Rezyklierte Baustoffe können problemlos wiederverwertet werden.
zVg. Calanda Gruppe

von Giancarlo Weingart, diplomierter Bauingenieur FH, Emba HSG und Geschäftsführer der Calanda-Gruppe sowie der Gribag Beton AG

Käufer von Getränkeflaschen  mögen sich eventuell fragen, ob sie eine rezyklierte Flasche oder eine aus erstmalig genutztem PET nehmen sollen? Die Frage ist unerheblich, denn beide Flaschen sind in ihren Eigenschaften gleichwertig. Und es wäre schade, die jährlich rund 40 000 Tonnen in der Schweiz anfallenden PET-Abfälle nicht wiederzuverwerten und so wertvolle 
Ressourcen zu verschwenden.

Rückbaustoffe besser verwerten

Was hat das aber mit der Baubranche zu tun? Ein Vergleich: Der Rückbau von 100 Einfamilienhäusern mit einer Grundfläche von 130 Quadratmetern oder – wie vor wenigen Jahren geschehen – des «Steinbock»-Gebäudes in Chur verursacht die gleiche Menge Abfall wie alle in der Schweiz entsorgten PET-Flaschen innerhalb eines Jahres. Der Bauabfall verursacht mit rund 15,5 Mio. Tonnen 385-mal mehr Abfall als alle PET-Flaschen zusammen. Die massenbezogenen Wiederverwertungsquoten für beide Abfallarten liegen bei rund 80 Prozent. In der Bauindustrie ist es jedoch heute noch immer so, als würden im Laden explizit nur nach der nicht rezyklierten PET-Flasche gefragt. 

Seit dem 1. Januar 2016 ist die überarbeitete Verordnung über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (VVEA) in Kraft. Bauherren müssen seitdem Auskunft über die anfallenden Bauabfälle, deren Schadstoffbelastung und Entsorgung geben. Ziel ist die Vermeidung von Schadstoffen und die bessere Verwertung von Rückbaustoffen. 

Die Bauindustrie hat diesbezüglich ihre Hausaufgaben nur teilweise gemacht. Erfreulich ist: Die rezyklierten Baustoffe sind vorhanden, geprüft und zertifiziert. Die Schweiz ist Weltmeister im Baustoffrecycling, dies insbesondere wegen beschränkter Platzverhältnisse und dem daraus resultierenden Mangel an natürlichen Ressourcen, wie beispielsweise Kies.

Regionaler Stoffkreislauf als Beispiel 

Vor rund 50 Jahren wurde am Bahnhof Chur das erste «Hotel Steinbock» abgebrochen und grösstenteils mit hochwertigen einheimischen Baustoffen neu aufgebaut. 

Mit dem Beginn des Rückbaus dieses Gebäudes im Jahr 2015 begann der Stoffkreislauf. Um eine hohe Wiederverwertungsquote zu erreichen, muss der Rückbauunternehmer sein Handwerk verstehen. Beim «Steinbock» hat die Rückbauunternehmung alle Stoffe so sauber wie möglich getrennt. So wurden rund 50 000 Tonnen Rückbaumaterial von der Baustelle weggeführt. Nach der Aufbereitung mittels einer Anlage, die durch einen Brechvorgang sowie verschiedene Siebdurchgänge das Material auf die richtige Korngrösse konfektioniert, entsteht aus dem Abbruchmaterial ein neuer Baustoff. Daraus resultieren End- und Ausgangsprodukte für die Nassaufbereitung. Bei mineralischen Bauabfällen kann dadurch eine Wiederverwertungsquote von rund 98 Prozent erreicht werden. Die Reststoffe aus den verschiedenen Prozessen werden fachgerecht entsorgt.

Ein zweites Leben ermöglichen

Fast alle Materialien aus einer Aufbereitung werden wieder zu zertifizierten Bau- oder Zuschlagstoffen. Auch Baustoffe, die vor 50 Jahren ihren ersten Einsatz hatten, bekommen so als Recyclingbaustoff im Strassenbau oder als Betonzuschlagstoff ein zweites Leben. Aus diesem Recyclingbeton entstand in den letzten Jahren neben dem neuen «Steinbock» zum Beispiel auch das Verwaltungsgebäude Synergia oder die Umfassungsmauer der Justizvollzugsanstalt in Cazis.

Entscheidungsträger früh einbinden

Ob als Mager-, Konstruktions- oder Sichtbeton, wasserdicht oder eingefärbt, Recyclingbeton steht Beton aus natürlichen Gesteinskörnungen in nichts nach. Daher wäre wichtig, dass Private und institutionelle Investoren (Hochbau), allen voran jedoch die öffentliche Hand (Hoch- und Tiefbau) das Umweltschutzgesetz einhalten und den Einsatz von rezyklierten Baustoffen bereits im Planungsprozess voraussetzen. So können schon im Projektbeschrieb und bei Ausschreibungen rezyklierte Baustoffe vorgesehen werden. Wie bei einem Getränk aus der PET-Flasche wird kein Unterschied zu spüren sein.
 

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