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Die Vernunft ist Odermatts wichtigste Ratgeberin

Marco Odermatt setzt im Alpin-Bereich weitere Massstäbe. Der Erfolg des dreifachen Gesamtweltcup-Siegers beruht nicht nur auf aussergewöhnlichem Talent.

Agentur
sda
26.02.24 - 10:21 Uhr
Ski alpin

Der Satz war natürlich nicht ernst gemeint. «Marco Odermatt wird den dritten Gesamtweltcup-Sieg selbst dann holen, wenn er bereits Ende Januar in den Urlaub auf die Malediven fährt.» Marc Girardelli sprachs Ende Dezember, nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Marco Schwarz für den Rest der Saison. Mit dem Österreicher, der sich bei seinem Sturz in der Abfahrt in Bormio das rechte Knie schwer beschädigte, musste sich Odermatts erster Herausforderer in die Zwangspause verabschieden.

Auf den Malediven war Odermatt in den letzten Wochen selbstverständlich nicht. Doch so weit daneben lag Girardelli mit seiner als Scherz empfundenen Einschätzung nicht. Das vorzeitige Saisonende von Schwarz war mit Blick auf die grosse Kristallkugel der Beginn von Odermatt als Solist. Ende Januar stand der Nidwaldner zwar rein rechnerisch noch nicht als neuerlicher Gesamtgewinner fest. Seine ersten Verfolger Cyprien Sarrazin und Manuel Feller hätten ihren Rückstand allerdings nur in dunkelgrauer Theorie noch wettmachen können.

Der Franzose lag 722 Punkte zurück, der Landsmann von Schwarz 847 Punkte. Fellers Restprogramm umfasste damals noch je sechs Slaloms und Riesenslaloms. In der Utopie hätte das für den Tiroler also 1200 Punkte abwerfen können. Der zum Speed-Spezialisten gewordene Sarrazin hatte noch vier Abfahrten und zwei Super-G vor sich und hätte also auch noch in den Riesenslaloms kräftig punkten müssen - in einer Disziplin, in der er zuletzt bei seinen punktuellen Einsätzen absolut chancenlos war.

Der grösste Vorsprung

Hand aufs Herz: Hätte es verwundert, hätte Odermatt auch das noch geschafft, schon im Januar zum dritten Mal als Gewinner der grossen Kristallkugel festzustehen? Er, vor dem keine Bestmarken mehr sicher sind? Er, der weitere Rekorde in diesem Winter purzeln lassen könnte? Jenen des grössten Vorsprungs im Gesamtweltcup etwa, der seit 23 Jahren Hermann Maier mit 743 Punkten hält. Odermatt hat derzeit 901 Punkte mehr als sein erster Verfolger Feller. Oder den mit den meisten Siegen in einem Winter. Odermatt steht derzeit bei elf. Den Rekord von 13 ersten Plätzen hält er seit der letzten Saison mit Ingemar Stenmark, Maier und Marcel Hirscher. Oder die unfassbare Serie an Riesenslalom-Siegen, die ebenfalls Stenmark gelungen ist. Der Schwede hat es einst geschafft, in 14 Rennen ungeschlagen zu bleiben.

Unfassbar! Unwirklich! Ausserirdisch! Attribute, die im Zusammenhang mit Odermatt in letzter Zeit immer wieder bemüht worden sind. Zum Unvorstellbaren gehört auch, dass der Nidwaldner den eigenen Rekord an Weltcup-Punkten in einer einzelnen Saison, den er im vergangenen Winter auf 2042 Zähler geschraubt hat, noch einmal steigern könnte. Derzeit steht er bei 1702 Punkten - und noch sind im Weltcup-Kalender vier Riesenslaloms, eine Abfahrt und ein Super-G vermerkt.

1702 Punkte - ein Wert auch als logisches Zeugnis neuerlich grossartiger Leistungen am Fliessband, eine (Zwischen-)Bilanz als Beleg eines aussergewöhnlichen Athleten, der sich auf seiner eigenen Ebene bewegt, den nichts aus der Bahn zu werfen scheint, der selbst unter aussergewöhnlichen Voraussetzungen gewinnt, wie er im Riesenslalom in Schladming mit dem Vorstoss von Rang 11 nach dem ersten Lauf ganz nach vorne bewiesen hat.

Die Geschichte wiederholt sich also. Wie in den Wintern zuvor bleibt das grosse Staunen über einen Fahrer, der nicht nur sein hohes Niveau und seine Konstanz gehalten hat, sondern vielmehr den Eindruck vermittelt, dass er sein Limit immer noch nicht ausgelotet hat, er nach wie vor in der Lage ist, die Grenzen des Machbaren nach oben zu verschieben.

Die bewahrte Natürlichkeit

Odermatt wird seinen Weg als Spitzensportler weitergehen. Er wird das in gewohnter Art tun - als nahbarer, geerdeter junger Mann, der den Erfolg richtig einzuschätzen weiss, dem Siege und Pokale nicht den Kopf verdreht haben, der seine Arbeit vorab aus Freude an seinem Tun verrichtet. Odermatt hat seine Natürlichkeit bewahrt, das Gekünstelte ist ihm fremd. Er bleibt auch als Prominenter sich selbst - in welche Sphären ihn seine Zukunft als Skirennfahrer auch noch trägt.

Odermatts wichtigste Ratgeberin ist die Vernunft. Sie prägt sein Gedankengut und dient ihm als Orientierungspunkt. Sie erlaubt ihm das Abwägen zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem, die Trennung zwischen Nützlichem und weniger Nützlichem, was für einen Vielbeschäftigten wie ihn unerlässlich ist.

Im Winter ist Odermatt selbstredend die Konzentration auf seinen Beruf wichtig. Im chargierten Kalender bleibt ihm auch nichts anderes als zielorientiertes Arbeiten übrig. Die Tage ohne Wettkampf, Training und Reisen sind an einer Hand abzuzählen. Andere Verpflichtungen wie Termine mit Sponsoren müssen warten bis nach der Saison. Ausnahmen werden nur aus besonderem Anlass gemacht.

Der besondere Werbespot

Besonderes gab es kürzlich. Odermatt drehte an der Seite von Roger Federer einen Werbespot für das Telekommunikations-Unternehmen Sunrise, Hauptpartner von Swiss-Ski und mit Odermatt auch individuell verbandelt. Die Dreharbeiten waren nur dank einem Sondereffort möglich. Das Ganze fand in einem Luxushotel in Andermatt statt - am Morgen des Sonntags der Sport Awards, einen Tag nach Odermatts Sieg im Riesenslalom in Val d'Isère. «Nach der Rückkehr aus Frankreich war Marco vielleicht eine Stunde zuhause», sagt Michael Schiendorfer, seit acht Jahren Odermatts Manager und einer seiner engsten Vertrauten.

Der Einsatz ausserhalb der Norm war ein Kraftakt. Odermatt meisterte ihn, weil er für Schiendorfer «in vielen Bereichen ein Ausnahmetalent ist». Der Chef der Kommunikationsagentur Abrogans zählt neben der Gelassenheit und inneren Ruhe «die unglaubliche Lernfähigkeit» und «die schnelle Auffassungsgabe» als weitere Stärken auf. «Dazu ist Marco ein guter Kommunikator. Er kann etwas erklären, dass es die anderen verstehen.» Die vielschichtige Begabung erleichtert manches. Vor allem bringt sie in vielerlei Hinsicht Zeitersparnis - für Odermatt mit seinem dichtgedrängten Terminkalender ein immenser Vorteil.

Dem Ruf des einstigen Tennis-Maestros folgte Odermatt natürlich noch so gerne. Er betrachtete es als Ehre, mit Federer vor der Kamera zu stehen. Der Clip zeigt aber auch, in welcher Liga sich die Nummer 1 der Alpinen mittlerweile auch ohne Ski und Helm bewegt. Neben seinem Ski-Ausrüster Stöckli und Hauptsponsor Red Bull umfasst Odermatts Portfolio nicht weniger als 19 Premium-Partner, zu denen neben Sunrise unter anderen der Uhren-Konzern Longines, die Raiffeisen-Bank und der Automobil-Hersteller Audi gehören.

Der vernünftige Rahmen

Eine Aufstockung des Bestandes ist gemäss Schiendorfer derzeit nicht geplant. Für ihn hat Priorität, «das Ganze in vernünftigem Rahmen zu halten und dafür zu sorgen, dass Marco genügend Zeit für Training und Erholung bleibt».

Die Allianzen mit den Unternehmen sind, wie könnte es anders sein, mit Bedacht ausgewählt. Sie machen Sinn. Sie passen zu Odermatt und seinem Verständnis von Zusammenarbeit auf Vertrauensbasis. Die Kooperationen haben ausnahmslos Langzeitwert. Nach Möglichkeit sollen sie über das Karriere-Ende hinaus Bestand haben.

Trotz aller Weitsicht ist Odermatts Blick vorerst auf die nähere Zukunft gerichtet. Auf die nächsten zwei Riesenslaloms vom Wochenende in Aspen, Colorado, zum Beispiel. Oder vielleicht auch schon über das Saisonende hinaus. Wenn die wohlverdienten Ferien anstehen. Womöglich auf den Malediven.

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