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Mungg auf Abwegen: Blinder Passagier reist bis in Allgäu

Die Davoser Alp Dürrboden ist Lebensraum vieler Murmeltiere. Einer dieser Munggä hat den Bergführer Peter Schmid in seinem Wohnhaus im Allgäu überrascht. Ein tierisches Abenteuer mit glücklichem Ausgang.

Béla
Zier
29.05.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Eine unfreiwillige Reise: Dieses Murmeltier aus Davos fuhr in einem Auto als blinder Passagier bis ins Allgäu.
Eine unfreiwillige Reise: Dieses Murmeltier aus Davos fuhr in einem Auto als blinder Passagier bis ins Allgäu.
BETTINA BUHL/ALLGÄUER ZEITUNG

Noch liegt hoch in den Bergen genug Schnee für eine Skitour. Das will Bergführer Peter Schmid ausnutzen. Von seinem im Allgäu gelegenen Wohnort Weiler-Simmerberg fährt er letzte Woche nach Graubünden. Das Ziel ist das rund 150 Kilometer entfernte Davos.

Schmid übernachtet im Hotel «Sommerfeld» in Pragg-Jenaz, um am nächsten Morgen früh mit seinem Kastenwagen ins Davoser Dischmatal zur Alp Dürrboden weiterzufahren. Von dort aus führt ihn seine Skitour zum Scalettahorn. Am Nachmittag kehrt der Bergführer dann wieder in seine Heimat zurück. Was der 60-Jährige nicht weiss; er hat einen tierischen Alpenbewohner mit an Bord.

Geräusche machten stutzig

«Zu Hause war dann irgendwie etwas seltsam», berichtet Schmid. In der Garage habe er es mehrfach rascheln hören, dann sei in seiner Werkstatt plötzlich etwas umgefallen. Zunächst habe er gedacht, dass sich vielleicht eine Katze in seine Garage verirrt habe. Das entpuppt sich als Irrtum, denn Katzen pfeifen nicht.

Murmeltiere aber sehr wohl. Und im Haus von Schmid ist jetzt dieses typische Pfeifen zu hören. «Wir haben eine Mieterin mit Hund, deshalb hat das Murmeltier gepfiffen», erklärt Schmid. Entdeckt habe er das verängstigte Tier dann unter einem Schrank: «Da hat seine Nase rausgeschaut.»

Mit Handschuhen eingefangen

Schmid besitzt in Weiler-Simmerberg die Alpinschule Allgäu. Auch im Prättigau bietet sein Betrieb Ski- sowie Klettertouren an. Mit der Bergwelt und dessen Flora und Faune ist er also bestens vertraut. Dass Schmid aus heiterem Himmel in seinem Wohnhaus ein Murmeltier antraf, scheint ihn nicht aus der Ruhe gebracht zu haben.

Sehr sachlich schildert der Alpinist, wie es ihm gemeinsam mit seiner Mieterin gelang, dem Mungg habhaft werden. Wohlweisslich schützten sich beide mit Handschuhen, denn: «Das Tier versuchte sich zu wehren, es konnte ja nicht wissen, dass wir ihm nur Gutes wollen.» Damit sich das Murmeltier nicht vom Acker macht und wieder im Haus versteckt, habe man es in eine Plastikkiste gepackt und mit Gras und Heu versorgt. Selbstverständlich habe man auch für Frischluftzufuhr gesorgt.

«Während Fahrt nichts gemerkt»

Schmid ist überzeugt, dass das Murmeltier auf dem Parkplatz beim Davoser Dürrboden ins Auto gelangt sein muss. «Dass es im Auto selber war, kann ich mir kaum vorstellen, es muss irgendwie unten am Fahrzeug drin gesessen sein.» Während der knapp zweistündigen Fahrt nach Hause habe er jedenfalls nichts von der Anwesenheit des Tiers gemerkt. Was aber macht man mit einem Murmeltier, das einem als blinder Passagier zugelaufen ist?

«So wie das Murmeltier dann losgerannt ist, wusste ich sofort, es ist wieder zu Hause.»

Im Westallgäu, der Heimat Schmids, seien Murmeltiere nicht heimisch, weshalb das Aussetzen des Tieres nicht zur Diskussion stand, berichtet die «Allgäuer Zeitung». Ein in der Region ansässiger Alpenzoo mit eigener Murmeltier-Population habe das Murmeli aus Davos nicht aufnehmen wollen. «Es hätte nicht überlebt. Die Artgenossen hätten ihn vermutlich als Eindringling getötet», wird Schmid von der Zeitung zitiert. Also gab es nur eine Lösung. Das Murmeltier muss zurück.

Munter auf Alp zurückbefördert

Am vergangenen Freitag fährt Schmid erneut zum Dürrboden ins Davoser Dischmatal. In seinem Kastenwagen liegt die Kiste mit dem Murmeltier. Etwaige Grenzformalitäten lässt er weg: «Ich bin einfach rübergefahren.»

Er habe das Tier an exakt derselben Stelle in seine Freiheit entlassen, an der es vor wenigen Tagen wahrscheinlich zugestiegen sei. «So wie das Murmeltier dann losgerannt ist, wusste ich sofort, es ist wieder zu Hause», freut sich Schmid über die geglückte Rückführaktion.

Ein Jungtier auf Reviersuche

«Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich ein gwundriger Mungg in einem Auto versteckt und die Fahrt überlebt», hält Hannes Jenny, Wildbiologe beim Bündner Amt für Jagd und Fischerei, zur grossen Tour des Davoser Murmeltiers fest. Anhand des Fotos erkennt Jenny ein etwa einjähriges Jungtier: «Jetzt ist eine Phase, in der die Ausmarchung um neue Reviere im Gang ist und sehr viele Jungtiere auswandern müssen.» Solche Jungtiere stünden unter hohem Stress und suchten Schutz. «Da ergibt die Gelegenheit die Möglichkeit», so Jenny, der anmerkt, dass Bergführer Peter Schmid richtig gehandelt habe.

Béla Zier ist Redaktor der gemeinsamen Redaktion Online/Zeitung «Südostschweiz» und «suedostschweiz.ch» und berichtet über die Region Davos und das Prättigau. Er ist seit 1993 für die Medienfamilie Südostschweiz tätig und arbeitet dort, wo er auch wohnt. In Davos. Mehr Infos

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