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Kinder wollen lernen - aber nur, was sie lernen wollen

Man kann Kinder nicht dazu zwingen, Dinge zu lernen, die es nicht lernen will oder für die es noch nicht bereit ist.

Oliver
Fischer
23.04.21 - 04:30 Uhr

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Ich habe in früheren Blogs schon das eine oder andere Mal darüber geschrieben, was mein Kind lernt, was ich gerne möchte, dass es lernt, was es schon gut und noch weniger gut kann (aus meiner Perspektive) und für wie (un-)talentiert ich es halte. Ein einigermassen bekanntes Zitat von Remo Largo lautet (ungefähr): «Ein Kind wächst nicht schneller, wenn man es an den Haaren zieht.» Was er damit meint: Man kann Kinder nicht dazu zwingen, Dinge zu lernen, die es nicht lernen will oder für die es noch nicht bereit ist.

Ein konkretes Beispiel: Das Kind lernte vor ungefähr einem Jahr das Velofahren, allerdings auf einem eigentlich zu kleinen Velo. Als wir dann ein neues, grösseres und schweres Velo kauften, klappte es plötzlich gar nicht mehr gut mit dem Rumfahren. Es war schwieriger, aufzusteigen, loszufahren, zu lenken und zu bremsen und abzusteigen. Was dazu führte, dass Kind sich plötzlich weigerte - oder in bester Ueli-Maurer-Manier ausgedrückt «Ha kei Luscht» sagte - Velo zu fahren. Ich unternahm immer wieder Versuche, Kind zu überreden, es wieder einmal zu probieren, schliesslich wusste ich ja, dass es mit dem kleineren Velo sehr gut fahren konnte. Ich scheiterte kläglich, was mich manchmal frustrierte. Immer wieder musste ich mir selbst Largos Satz in Erinnerung rufen - und siehe da, kaum wurden diesen Frühling die Tage länger und die Abende lauer, fragte Kind von sich aus, ob es raus dürfe, um Velo zu fahren. Voilà, mein Ziehen bewirkte gar nichts und schliesslich ist Kind selbst gewachsen.

«Kinder sind eigenaktive Lerner, deren Entwicklung man nicht steuern kann.» Diese Aussage stammt vom Kinderarzt Oskar Jenni, Remo Largos Nachfolger am Universitätskinderspital Zürich. Einfach gesagt: Kinder sind neugierig und wollen von sich aus lernen. Man muss sie nicht dazu animieren und man kann und soll nicht versuchen, sie etwas lernen zu lassen, was sie nicht von sich aus lernen wollen.

Mein Kind zum Beispiel hat ganz aus eigenem Antrieb mit dem Lesen angefangen. Zuerst seinen eigenen Namen, dann Schritt für Schritt immer mehr Buchstaben und inzwischen liest es in einem Tempo, das ausreicht, um aus dem fahrenden Zug oder Auto heraus Schriftzüge und Strassenschilder zu entziffern.

Neben vielen Dingen, die Kind mit Freude und grossem Interesse lernen will, gibt es natürlich auch vieles, was es kaum interessiert oder es zwar ab und zu gern macht, aber keinen allzu grossen Ehrgeiz zeigt - malen zum Beispiel, oder basteln. Und leider ist auch die Lust, gemeinsam zu kochen, aktuell nicht allzu ausgeprägt. Nun würde ich aber beim letzten Punkt ja eigentlich ganz gerne ein bisschen Anschub geben, das Kind motivieren, mit mir zusammen zu lernen - und Largo und Jenni in den Wind schlagen.

Immer, wenn ich an einen solchen Punkt gelange, rufe ich mir die Velo-Episode in Erinnerung, um eben nicht in die «Förder-Falle» zu tappen, und mein Kind zu etwas überreden zu versuchen, was es nicht will oder wofür es noch nicht bereit ist; obwohl - das mit dem Kochen…

 

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Guten Abend, ich denke, Remo Largo hat ein afrikanisches Sprichwort zitiert, das so lautet: "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht". Also behutsam pflegen und nichts forcieren. Freundliche Grüsse, Martina Tuena

Guten Abend, ich denke, Remo Largo hat ein afrikanisches Sprichwort zitiert, das so lautet: "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht". Also behutsam pflegen und nichts forcieren. Freundliche Grüsse, Martina Tuena