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«Sekundenkleber ist unser bester Freund»

Diese Zeilen entstehen, während draussen gerade ein mächtiger Gewittersturm tobt. Die Gedanken gehen ins Ducantal, wo seit Montag an den steilen Hängen unterhalb des Gletscher Ducan vier Fossiliensucher am Werk sind.

Barbara
Gassler
30.07.23 - 07:12 Uhr
Ereignisse
Karl Tschanz, Silvan Schaub und Christian Obrist vor dem Abflug mit grossem Gepäck im Sand.
Karl Tschanz, Silvan Schaub und Christian Obrist vor dem Abflug mit grossem Gepäck im Sand.
bg

«Ja, wir sind alle süchtig», hatte Silvan Schaub am Sonntagabend noch frohgemut erzählt. Der Jüngste unter den Hobby-Paläontologen kann auch bereits auf zehn Expeditionen zum Ducan zurückblicken. Dort, auf rund 2700 mü.M., schlagen sie jeweils ihre Zelte auf. Zum Schlafen, zum Arbeiten und zum Aussitzen von ebensolchen Unwettern. «Das ist das Schlimmste an dieser Arbeit», gesteht Christian Obrist, mit 32 Einsätzen der Erfahrenste des Trios. «Herumzusitzen und nichts tun zu können.» Dazu würden sie Gewitter zwingen, aber auch knietief im Schnee hätten sie schon gestanden. Kein Zuckerschlecken ist es auch, wenn Nebel die Sicht unmöglich macht. «Unsere Habseligkeiten sind über den ganzen Hang verteilt», beschreibt der wissenschaftliche Grabungsleiter Karl Tschanz. Der studierte Paläontologe war in frühen Jahren, als die Fossilienfunde am Ducan noch ganz neu und eine Sensation waren – «Das war 1988», sagt er – schon einmal dabei. Dann führte ihn das Berufsleben auf andere Wege. Doch nun, als «Ruheständler», kann er sich im Auftrag des Paläontologischen Instituts der Uni Zürich wieder seiner Passion widmen. «Das Schlafzelt befindet sich rund 70 Meter unter der Abbaustelle, die Wasserfassung irgendwo anders. Je nach Bedingungen.»

Hin und zurück durch die Luft

Am Montagmorgen, nachdem auch noch Marius Hublard zum Team gestossen war, ging es für die Fossiliensucher los. Ein Helikopter holte sie und rund 700 Kilogramm Gepäck im Sand im Sertig ab. Auf diesem Weg kommen sie nach getaner Arbeit wieder zurück ins Tal. Vorausgesetzt, es ist Flugwetter. Einmal hätten sie im Schnee auf den gepackten Sachen gewartet, erzählt Obrist. Doch trotz mehrmaligen Kontaktaufnahmen kam und kam das ersehnte Lufttaxi einfach nicht. Erst am Abend, rund neun Stunden nach Termin, wurden sie dann doch noch abgeholt. «Es war der letzte Heli, der überhaupt noch in der Luft war.»

Klimawandel hautnah

Wasser ist auch ein Thema, das sie jedes Mal begleitet. «Als ich vor 32 Jahren zum ersten Mal am Rand des Ducangletschers arbeitete, hatte ich einen kleinen See unmittelbar neben dem Schlafzelt», erzählt Obrist. Heute müssten sie auf dem Geröllfeld mühsam Quellen suchen. Die Klimaveränderung zeige sich dort sehr deutlich. «Wo vor kurzem noch Eis war, müssen wir jetzt über Felsen steigen», berichtet Tschanz. «Letztes Jahr lachten mich die anderen aus, als ich das Wasser von einer gut hundert Meter entfernten Quelle mit einem Trichter und einem Schlauch zu unserem Lager führte», sagt Schaub. «Jetzt sind sie froh, dass ich mein Material wieder dabei habe.»

«Gelegenheiten soll man nutzen», findet diese Schneemaus und bedient sich an den von den Fossiliensuchern mitgebachten, exotischen Köstlichkeiten.
«Gelegenheiten soll man nutzen», findet diese Schneemaus und bedient sich an den von den Fossiliensuchern mitgebachten, exotischen Köstlichkeiten.
zVg
Schneemäuse haben die exotischen Leckerbissen  entdeckt und bedienen sich gerne. 
Schneemäuse haben die exotischen Leckerbissen  entdeckt und bedienen sich gerne. 
zVg

Food und Non-Food

Die steigenden Temperaturen führen noch zu ganz anderen Problemen. «Wir müssen unsere Steaks schneller essen», seufzt Obrist. In früheren Jahren habe er wärmeempfindliches Gut einfach im Schnee deponieren können. «Heute behelfen wir uns mit Eingraben und Rettungsdecken.» An frischen Lebensmitteln hätten sie auch Melonen dabei, fährt Tschanz fort. «Tomaten, Karotten und Äpfel.» Von Letzteren allerdings nur vier Stück. «Die sind offenbar nicht so beliebt.» Nur bei den Menschen allerdings. Schneemäuse haben die Fossiliensucher entdeckt und holen sich manchmal ihren Anteil am Proviant. Schaub hingegen ist für das Non-Food-Segment zuständig. «So nennen die anderen meine Chips, das Knabberzeugs und die Schokolade.» Zum Ende der Grabung sei aber alles ebenfalls restlos aufgebraucht. «Schliesslich brauchen wir die Kisten, um die gefundenen Steine reinzupacken», sagt Schaub mit einem Augenzwinkern.

Unvergessliche Erlebnisse

Doch, warum tut man sich das an? Steigt Jahr für Jahr hinauf zum Ducan und leistet unter widrigsten Bedingungen Knochenarbeit? Denn Geld gibt es hierfür keines. Die gefundenen Stücke gehören alle dem Kanton Graubünden und werden der Wissenschaft zur Verfügunggestellt. Das erklärt, warum sich die Hobby-Paläntologen selber als Süchtige be-zeichnen, ohne das zu ernstzunehmen. Denn wer einmal von der Suche nach dem speziellen Stück, das sich in der nächsten Platte verbergen könnte, gefangen ist, kommt kaum mehr davon los. «Der Berg gibt einem am ersten Tag etwas, damit man durchhält. Und am letzten, damit man zurückkommt», grinst Tschanz. Doch was können sie tatsächlich aufweisen, nach so vielen Stunden an der Grabungsstelle unter gleissender Sonne? Tschanz erinnert sich sofort an einen Schädel eines Pachypleurosaurus, den er 1988 im Schutt entdeckte. «Ich war gerade dabei, mich abzuwenden, als etwas meine Aufmerksamkeit erregte», erzählt er. «Es war nicht gross.» Tschanz zeigt mit den Fingern ungefähr einen Fünfliber. «Ich war total verblüfft, dass auf einem so kleinen Steinplättchen ein ganzer Schädel erhalten war.» Zwar war es kein Erstfund, doch auch dieses Stück brachte das Wissen um die Tier- und Pflanzenwelt im Mitteltrias Graubündens – vor rund 240 Millionen Jahren – weiter. Als Tschanz nach langjährigem Unterbruch vor fünf Jahren wieder zurück zum Ducan kam, fiel ihm nach wenigen Minuten graben ein Krebs in die Hände. «Ein sehr schönes Stück.»

Marius Hublard, Karl Tschanz, Silvan Schaub und Christian Obrist an der Fundstelle.  (v.l.)
Marius Hublard, Karl Tschanz, Silvan Schaub und Christian Obrist an der Fundstelle. (v.l.)
zVg

Schädel in 3D

Mit Freude erinnert sich Schaub an die Platte mit einigen Prosantichtys, einem kleinen Fisch, der bisher nur am Ducan gefunden wurde. «Ich habe ein speziell gutes Auge für die kleinen Veränderungen, die auf ein mögliches Fossil im Stein hinweisen», berichtet er, während die anderen zustimmend nicken. Seine Spezialität sei es ausserdem, in den stark zerkleinerten Steinen auch im Querbruch noch Fossilen zu entdecken. Beim Zerkleinern kann es dann schon mal vorkommen, dass auch ein im Felsen eingebettetes Fundstück zu Bruch geht. «Sekundenkleber ist des Fossiliensuchers bester Freund», kommentiert Schaub, der genau wie Obrist die Fundstücke später auch präpariert. Und was ist dem «Dienstältesten» und Entdecker der Fundstelle? «Das wird ein ganzer Katalog», lacht dieser, und fängt an von dem Macrocnemus – einem kleinen, an Land lebenden Saurier – zu berichten, dem der Schädel und fast der ganze Rumpf fehlte, da er von einem grossen Meeressaurier abgebissen wurde. Dann erzählt er von dem Fischkopf und -schwanz, den er gefunden habe. «Es dauerte eine Zeit, bis man merkte, dass die zwei Teile zum gleichen Tier gehören.» Einem später Foreyia maxkuhni benannten Quastenflosser (DZ 17.11.2017). «Letztes Jahr fand ich einen einen circa 25 Zentimeter langen Saurichthys-Schädel. Das ist ein Raubfisch mit langer Schnauze.» Das Stück sei nicht sonderlich schön erhalten, aber bisher das einzige in 3D erhaltene aus den Prosanto-Schichten. Dabei ist das Fossil nicht auf wenige Millimeter zusammengepresst, wie es sonst üblich ist. «Das ist für die Rekonstruktion des lebenden Tieres sehr hilfreich.» Um die wissenschaftliche Erforschung dieser Schichten weiterzutreiben, wenden sich Tschanz und Schaub dieses Jahr einer neuen Fundstelle zu. «Wir versuchen, uns in der rund 150 Meter dicken Prosanto-Formation einem noch nicht untersuchten Schichtpaket zuzuwenden.»

Abdruck des Schädels eines selteneren kurzschnäuzigen Saurichthys. Dieser muss nun aufwendig aus dem Stein präpariert werden.
Abdruck des Schädels eines selteneren kurzschnäuzigen Saurichthys. Dieser muss nun aufwendig aus dem Stein präpariert werden.
zVg

Erste Funde

Einige Tage später nutzt Tschanz eines der zahlreichen Gewitter während der Expedition, um die folgende Meldung abzusetzen: «Die neu angegrabenen Schichten sind wie erwartet zeitlich etwas älter. Leider enthalten sie nur sehr wenige Fossilien. Wir haben jedoch einen sehr schönen Ast einer Araukarie, eventuell mit einem kleinen Zapfen und einen acht Zentimeter grossen Schädel eines selteneren kurzschnäuzigen Saurichthys gefunden.» Dem fügte er ein Bild der Truppe bei freundlicherem Wetter bei. Etwas, das nicht selbstverständlich ist. Denn auch die Internet-Verbindung ist an der Grabungsstelle nicht jederzeit gewährleistet.

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