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Wie Kirchner die Welt zu sich nach Davos holte

« ... heute kam den ganzen Tag Besuch» heisst die neue Ausstellung im Kirchner Museum in Davos. Neben alten Bekannten ist auch Neues zu entdecken.

Ruth
Spitzenpfeil
24.05.19 - 23:36 Uhr
Kultur
Die Kuratorin Annick Haldemann (rechts) und Geschäftsführerin Dolores Mark vor der Porträtwand.
Die Kuratorin Annick Haldemann (rechts) und Geschäftsführerin Dolores Mark vor der Porträtwand.
PHILIPP BAER

Anfang 1917 kam Ernst Ludwig Kirchner erstmals nach Davos, im Sommer 1918 liess er sich im Landwassertal nieder – und ging nicht mehr weg von hier. Ab und zu spazierte er vielleicht noch ins Café «Schneider», aber sonst fanden seine letzten zwei Lebensjahrzehnte in einem ganz kleinen Aktionsradius rund um Frauenkirch statt. Umso wichtiger war es für den nach wie vor ambitionierten Künstler, dass die Welt zu ihm kam.

In die Briefe vertieft

Genau um diese Konstellation kreist die neue Ausstellung des Kirchner Museums, die morgen Sonntag, 26. Mai, in Davos eröffnet wird. Gestaltet wurde die Schau von Annick Haldemann, und sie kam unter speziellen Umständen zustande. Denn eigentlich hätte zu diesem Datum die im letzten Jahr eingesetzte neue Direktorin des Museums, Ariane Grigoteit, erstmals ihre Ideen verwirklichen sollen. Weil man sich aber Hals über Kopf im Dezember wieder von ihr trennte, musste eine schnelle Lösung her. Und so sprang Haldemann, die seit Jahren in der Registratur des Museums tätig ist, als künstlerische Leiterin ein. In viereinhalb Monaten entwarf sie diesen intimen Einblick in den Kosmos Kirchners.

«Ich habe mich seit jeher gerne in die Briefe Kirchners vertieft», erklärt die Kunsthistorikerin. Und in dem umfangreichen Schriftwechseln des Künstlers, der 2010 von Hand Delfs komplett publiziert wurde, fiel ihr auf, wie oft von Besuchen die Rede war. Man habe manchmal gar den Eindruck, er bettle darum, aus seiner Bergeinsamkeit erlöst zu werden. Das Bemühen um die zum Teil illustren Gäste hatte aber auch durchaus handfeste wirtschaftliche Gründe. Denn er musste ja mit Mäzenen, Verlegern und Ausstellungsmachern in Kontakt bleiben.

Auf Schritt und Tritt merkt man jetzt im Museum, dass sich da jemand ganz eingelassen hat auf Kirchner und alle Facetten seines Schaffens in Davos. Haldemann lag es aber nicht nur daran, die zum Thema relevanten Bilder und Dokumente zutage zu fördern, sondern sie wollte auch die Geschichten dahinter vermitteln. Der Besucher wird hier nicht wie in so manch anderen Präsentationen mit der Kunst alleine gelassen. Die Beschriftungen der klug und optisch attraktiv in Gruppen zusammengefassten Schaustücke sind umfang- und lehrreich.

Eine gewisse Kombinationsgabe verlangt die Ausstellung den Besuchern aber schon ab. Wenn zu einer Situation etwa ein grosses Gemälde vorhanden ist, dazu eine Zeichnung oder Druckgrafik als Vorstudie und Fotos der involvierten Personen, dann hängen diese nicht zwingend beieinander. Das hat mit unterschiedlichen Anforderungen an die Beleuchtung zu tun, aber es sollte auch nicht langweilig werden», sagt Haldemann.

Champagner zum Frühstück

Es empfiehlt sich, den Faden zuerst im hintersten Saal aufzunehmen, der von den Porträts der Kirchner-Gäste dominiert wird. Der Eindruck zusammen mit den klug gehängten weiteren Bildgruppen ist so stimmig wie elegant. Weiter geht es im nächsten Raum mit Kirchners Qualitäten als Gastgeber. Wir erfahren etwa, dass man bei ihm «schon zum Frühstück ein exquisites Mahl mit Champagner» einzunehmen hatte.

Auch im Gemäldesaal begegnet man nicht nur vielen originellen Aspekten von Kirchners Landleben, einige Werke sind erstmals überhaupt in Davos zu sehen. Unter den neuen Leihgaben sticht etwa ein famoser «Skisprung» heraus. Abgerundet wird das Ganze durch eine bemerkenswerte Auswahl von Bildern seiner hier weilenden Künstlerfreunde, für die es sich allein schon lohnt, sich in die Reihe der Besucher Kirchners einzureihen.

Ausstellungseröffnung Sonntag, 26. Mai, 11 Uhr; Führung um 16 Uhr. Ausstellung bis 27. Oktober Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr. Kirchner Museum Davos.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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