×

Feldis im Ausnahmezustand: Das Bähnli fehlt

Wegen grosser Revision der Luftseilbahn ist Feldis momentan nur auf dem Landweg erreichbar – ein Besuch.

Bündner Woche
26.04.24 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Verwaist: Momentan hängen keine roten Gondeln an den Seilen.
Verwaist: Momentan hängen keine roten Gondeln an den Seilen.
Andri Dürst

von Susanne Turra

Die Bise fegt um die Ohren. Kalt, trocken, erbarmungslos. Es ist Dienstagmorgen, bei der Talstation der Luftseilbahn Rhäzüns-Feldis. Geschäftsführer Roman Bernard kommt um die Ecke. Er reibt sich die Hände. «Bei diesen Windverhältnissen würde die Bahn heute sowieso nicht fahren», betont er. «Auch wenn sie in Betrieb wäre.» Da gibt es klare Sicherheitsbestimmungen. Auf dem Computer im Stationshaus sind die Windaufzeichnungen zu sehen. Bei 40 Stundenkilometern gibt es eine Windwarnung. Ab 60 Stundenkilometern gibt es Windalarm. Wie auch immer. Seit drei Wochen steht die Bahn still. Und die Kabinen sind weg. Der Luftweg, der Rhäzüns und Feldis seit über 65 Jahren verbindet, ist abgeschnitten. Das Bähnli fehlt. Wegen grosser Revision bleibt es geschlossen. Und Verschlossenes gibt es an diesem Tag tatsächlich vieles zu sehen. 

Dass Feldis nicht vergessen geht

Es ist 8.30 Uhr. Der Shuttlebus schlängelt sich auf dem Landweg in Richtung Feldis. An Tomils vorbei wird es höher und höher, schmaler und schmaler und dann offener und heller. Erika Kunfermann und Gisula Tscharner warten beim Schulhaus. Mit dicken Handschuhen um die Finger trotzen sie dem eiskalten Biswind. Der Himmel ist grau und zu. «Die Aussicht ist heute verschlossen», sagt Gisula Tscharner. «Und ein paar Türen auch», ergänzt Erika Kunfermann. Die Feldiserinnen lachen herzlich. Ihre Leidenschaft und Liebe für das Dorf sind sofort zu spüren. Und so verschlossen die Türen der Luftseilbahn während der Revision sind, so verschlossen zeigt sich heute der Himmel. Erika Kunfermann kommt aus Thusis und wohnt seit fünf Jahren in Feldis. Gisula Tscharner kommt aus Zürich und wohnt seit 50 Jahren in Feldis. Verschiedene Generationen mit vielen Gemeinsamkeiten. Beide sind aktiv. Die Jüngere gibt Yogalektionen. Die Ältere spielt Klavier im Duo «Feldiser Weibereien». Und beide wollen sie, dass Feldis während der seilbahnlosen Zeit nicht vergessen geht.

Weisser Bus statt rote Gondeln

Zurück nach Rhäzüns. Das Bähnli, wie es von den Einheimischen liebevoll genannt wird, ist eine spezielle Bahn. Eine ÖV-Bahn. «GA und Halbtax-Abo sind hier gültig», erklärt Roman Bernard. Die Seilbahn fährt im Halbstundentakt. Von morgens um 6.05 bis abends um 22.30 Uhr. Momentan aber ist Feldis von der Talstation Rhäzüns aus nur noch auf dem Landweg erreichbar. Und das im Stunden- und Zweistundentakt. Anstelle der roten Gondeln steht nun der weisse Shuttlebus bereit. Beide Verkehrsmittel sind übrigens mit 14 Plätzen ausgestattet. Normalerweise wird die Bahn jeweils im Frühling und Herbst revidiert. Die Räder werden geschmiert. Das Seil kontrolliert. Die Gummilagerringe gewechselt. Alle sechs Jahre werden die Laufwerke totalrevidiert. Und alle zwölf Jahre die Tragseile geschoben. Normalerweise.

«Die momentane Revision dauert sechs Wochen», erklärt Roman Bernard. «Im Rahmen des Behindertengleichstellungsgesetzes müssen die Kabinen behindertengerecht gemacht werden.» Und so sind die roten Gondeln im Werk in Olten. Weil sie einen runden Kubus haben, muss im Innern der Kabinen ein rechtwinkliger Anschlag von mindestens 70 Zentimetern gewährleistet werden. Dort können dann unter anderem Rollstühle festgemacht werden. Weiter wird das Zugseil ausgewechselt und der Eingangsbereich an der Talstation neugestaltet. Und die Gondeln bekommen ein neues rotes Kleid. Kostenpunkt? Rund 1,2 Millionen Franken, inklusive neue Steuerung im 2025. «20 Jahre alte Elektronik ist veraltet», gibt der Geschäftsführer zu bedenken. «So sind wir für die nächsten 20 Jahre wieder gerüstet.»

Ein lebendiges Dorf: Der Dorfplatz mit seiner Plakatwand,…
Ein lebendiges Dorf: Der Dorfplatz mit seiner Plakatwand,…
Andri Dürst
…Erika Kunfermann und Gisula Tscharner vor der «Stizunetta»,…
…Erika Kunfermann und Gisula Tscharner vor der «Stizunetta»,…
Andri Dürst
…die alte Gondel in ihrer unverkennbaren eckigen Form…
…die alte Gondel in ihrer unverkennbaren eckigen Form…
Andri Dürst
… und Roman Bernard in der Talstation am Computer.
… und Roman Bernard in der Talstation am Computer.
Andri Dürst

Zurück nach Feldis. Erika Kunfermann und Gisula Tscharner möchten den Ausnahmezustand durch die Bahnrevision positiv nutzen. Gesagt, getan. Auf Flyern stellen sie die Angebote aus dem Dorf vor. Und sie erklären den Landweg, wenn der Luftweg fehlt. Und so wird gedruckt, verteilt, propagiert und plakatiert, was das Zeug hält. «Die Plakate werden in der Region beachtet», hat Erika Kunfermann aus Rückmeldungen bereits erfahren.  


Das Bähnli fehlt. «Die Luftseilbahn hat die ganze Demografie verändert, denn dank ihr lebt eine gemischte, heterogene Bevölkerung hier oben», erklärt Gisula Tscharner. Entsprechend gibt es ein reichhaltiges Angebot im Dorf. Da ist zum Beispiel die «Stizunetta». Das Lädeli um die Ecke mit einheimischen Produkten. Hier wird viel Handgemachtes verkauft. Gebasteltes, Gestricktes, Fotografiertes und Abgefülltes. Aus Alpaka, Bienenwachs und Holz. Und die Schnapsideen von Gisula Tscharner nicht zu vergessen. Jetzt noch rasch zur Kirche hinauf. «Von hier aus sieht man sogar auf den Rhein», verraten die beiden Frauen. Wenn man denn etwas sieht. Viel Verborgenes, auch hier. Durch die typische romanische Siedlung, schmal und ohne Trottoir, geht es zu Gisula Tscharner nach Hause. «Von 120 Einwohnenden sprechen heute noch rund 20 Romanisch», sagt die Feldiserin. Sie ist eine davon.


In einer halben Stunde in Chur

Zurück nach Rhäzüns. Das Bähnli ist wichtig für die Menschen in Feldis. Auch Roman Bernard ist in Feldis aufgewachsen. «Das Dorf ist gut angebunden», sagt er. «In einer halben Stunde bin ich in Chur.» 
35 Jahre lang führt Roman Bernard mit seiner Frau das damalige Hotel «Mira Tödi» in Feldis. Samt Bäckerei. Dann verkauft er den Betrieb. Zwölf Jahre später, nach drei Besitzerwechseln und vier neuen Wirte-paaren, wird aus dem «Mira Tödi» der «Feldiserhof». Es ist immer dasselbe. Das schnelle Geld muss verdient sein und der Kampf, der bleibt. «Das Problem mit der Gastronomie merken wir auch bei der Seilbahn», bedauert Roman Bernard. «Die Bewegung von rund 200 Menschen an den Wochenenden fehlt uns heute.» Trotzdem. Rund 60 000 Leute fahren jährlich mit der Luftseilbahn. Von Feldis nach Rhäzüns. Und wieder zurück. 

Der Himmel bleibt zu: Sicht auf Feldis.
Der Himmel bleibt zu: Sicht auf Feldis.
Andri Dürst
Revidiert: Bald bekommt die Feldiser Bevölkerung ihr Bähnli wieder zurück.
Revidiert: Bald bekommt die Feldiser Bevölkerung ihr Bähnli wieder zurück.
Pressebild

Wieder in Feldis. Und wie ist das nun mit dem positiven Ausnahmezustand? «Bähnli-Revision hin oder her, wir können improvisieren», betont Gisula Tscharner. Wo die Türen verschlossen sind, geht auch immer wieder eine neue auf. Wenn ein Café schliesst, dann wird halt kurzerhand ein «Kafi am Dorfplatz» eröffnet. Mit Gemeindebewilligung. Und die Leute trinken in der kalten Jahreszeit ihren Kaffee eben in Wintermänteln auf dem Dorfplatz. Sofern der Biswind nicht wieder zuschlägt. Wir bevorzugen momentan einen Schluck «Waldbad» aus der Tasse. Einen von Gisula Tscharner selbst gebrauten Punsch aus heimischen Kräutern. «Ein Schluck Feldis», wie sie sagt.

Sieben Minuten, die fehlen

Es geht gegen Mittag. Die Leute hier oben sind verschieden und haben ihre Ideen und Meinungen. Trotz allen Lobes auf das Dorf. Das Leben passiert. Auch in Feldis. Dennoch. Viele sagen, ohne das Bähnli würden sie gar nicht hier oben wohnen.

Wie auch immer. Das Bähnli erfüllt eine ganz wichtige Funktion. In sieben Minuten bringt es die Bevölkerung von Feldis nach Rhäzüns und wieder zurück. Von 700 auf 1500 Meter über Meer und umgekehrt. Nun ist die Luftseilbahn in Revision. Und das Bähnli fehlt. Was davon am meisten? «Die Mobilität. Zudem erfahren wir im Bähnli, was die Leute bewegt», verrät Erika Kunfermann. «Und wir führen während der Fahrt manchmal philosophische Gespräche», so Gisula Tscharner. Eindeutig. Es sind die sieben Minuten, die fehlen.

Inhalt von buew logo
Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Leben & Freizeit MEHR