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«Es braucht mehr gemeinnützigen Wohnraum»

Was tun Wohnbaugenossenschaften gegen die Wohnungsnot, warum gibt es nicht mehr Genossenschaftswohnungen und worauf achten Wohnbaugenossenschaften bei der Vermietung?

Wohnen
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07.07.23 - 15:55 Uhr
Schwierige Wohnungssuche: Insbesondere bezahlbare Wohnungen sind Mangelware.
Schwierige Wohnungssuche: Insbesondere bezahlbare Wohnungen sind Mangelware.
Bild: Tim Többe

von Rebecca Omoregie, Vizedirektorin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz

Urs Hauser ist Direktor von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, der Dachorganisation der gemeinnützigen Wohnbauträger. Im Verband sind 1265 gemeinnützige Wohnbauträger mit über 165000 Wohnungen in der ganzen Schweiz Mitglied. 

Rebecca Omoregie: Wieso fehlt es in der Schweiz an Wohnraum?

Urs Hauser: Die aktuelle Wohnungsknappheit hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel kleinere Haushaltsgrössen und ein grösserer Wohnflächenverbrauch. Gleichzeitig steigen die Wohnkosten und belasten die Haushaltsbudgets immer stärker. Es ist also nicht so, dass einfach nur Wohnungen fehlen – es fehlen vor allem bezahlbare Wohnungen. 

Bezahlbare Wohnungen gibt es vor allem bei Wohnbaugenossenschaften. Warum sind Genossenschaftswohnungen so günstig? 

Weil Wohnbaugenossenschaften und andere gemeinnützige Bauträger nicht gewinnorientiert arbeiten. Sie vermieten ihre Wohnungen zu den Selbstkosten. Deshalb sind gemeinnützige Wohnungen im Schnitt 20 Prozent, in grossen Städten sogar bis zu 60 Prozent günstiger als vergleichbare Wohnungen. Gemeinnützige Wohnbauträger wirken nicht nur den steigenden Mietkosten entgegen, sondern auch dem steigenden Flächenverbrauch. Genossenschaftsbewohnerinnen und Genossenschaftsbewohner verbrauchen deutlich weniger Wohnfläche. 

Sollte also das Beispiel der Genossenschaften Schule machen? Entsprechende Forderungen wurden ja laut, zum Beispiel, dass Gemeinden bei Wohnungsnot Belegungsvorschriften einführen können. 

Sinnvoller wäre es, dafür zu sorgen, dass es mehr gemeinnützigen Wohnraum gibt. Das wäre nicht nur ein Mittel gegen die Wohnungsnot, sondern würde helfen, viele ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern: Gemeinnützige Wohnbauträger bauen besonders nachhaltig und klimaneutral. Sie gehen auf gesellschaftliche Veränderungen ein, ermöglichen neue Wohnformen. Und sie stellen ja nicht nur Wohnraum zur Verfügung, sondern auch soziale Angebote und Räume, von denen ganze Quartiere profitieren. 

Wieso gibt es denn nicht mehr gemeinnützigen Wohnraum? 

Es ist wirklich paradox: Obwohl die Nachfrage so hoch ist, sind schweizweit nicht einmal fünf Prozent der Wohnungen gemeinnützig. Die gemeinnützigen Bauträger würden gerne mehr bauen. Aber dafür brauchen sie Land. Das ist eine der Hauptforderung unseres Verbands: Zugang zu bezahlbaren Grundstücken. 
Und wie wollen Sie das erreichen?

Wir fordern zum Beispiel, dass nicht mehr benötigte Areale des Bundes und bundesnaher Betriebe für gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Und der Bund sollte Gemeinden ermöglichen, ein Vorkaufsrecht einzuführen. Damit könnten sie Grundstücke erwerben und gemeinnützigen Wohnbauträgern abgeben. 

Was können Kantone und Gemeinden tun?

Gemeinden sollten eine Wohnstrategie entwickeln und sich überlegen, wie sie mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen können. Zum Beispiel, indem sie bei grossen Arealen einen Mindestanteil von gemeinnützigen Wohnungen festlegen. Wenn sie Landreserven haben, sollen sie diese im Baurecht oder zum Kauf an gemeinnützige Wohnbauträger abgeben. 

Das hilft aber den Menschen, die jetzt eine Wohnung suchen, nicht viel. Das Problem ist doch, dass Personen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen wären, gar keine Chance haben, eine Genossenschaftswohnung zu bekommen. 

Das stimmt nicht. Gemäss ihrer Charta stehen Genossenschaften allen offen und schliessen niemanden aus. Die Statistik zeigt, dass die gemeinnützigen Wohnungen vorwiegend denjenigen Bevölkerungsgruppen zugutekommen, die auf eine günstige Wohnung angewiesen sind: In Genossenschaftswohnungen leben überproportional viele Personen mit einem tiefen Bildungsniveau und folglich mit geringen finanziellen Mitteln und überproportional viele Kinder und ältere Menschen. 

Dennoch hört man immer wieder, dass Menschen in Genossenschaftswohnungen wohnen, die sich eine teurere Wohnung leisten könnten.

Daran ist auch nichts falsch. Es ist ein Missverständnis, dass Genossenschaften Wohnraum nur für sozial Schwache zur Verfügung stellen sollen. Das wäre sozialpolitisch auch nicht sinnvoll, sondern würde die Segregation fördern. Durchmischte Siedlungen und Quartiere, in denen das Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen Hintergründen gefördert wird, sind ein wichtiger Beitrag für den sozialen Frieden.

Wohnbaugenossenschaften Schweiz
www.wbg-schweiz.ch

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